Von Siegfried Gerdau
Wenn es möglich wäre, den Herbst völlig unbelastet als schöne Jahreszeit zu betrachten, wäre ich froh. Leider erinnert er viel zu sehr an die eigene Vergänglichkeit. Klar, wenn ich noch jung wäre, würde ich diese Gedanken überhaupt nicht haben. Ich hätte unendlich viel Zeit vor mir und wäre nahezu unsterblich.
Leider ist die Realität eine andere. Die kurze Zeit, die wir auf dieser Welt verbringen dürfen, rast an uns vorbei. Kaum haben wir Fuß gefasst, kommen die ersten Querschläger und kurz darauf die Falten oder die Haare fangen an auszufallen. Deutliche Spuren der Vergänglichkeit, aber noch wehren wir uns. Wir fangen an zu raffen, Besitz und Macht zu ergattern und doch läuft die Uhr des Lebens unerbittlich in Richtung Null. Die fallenden Blätter des Herbstes sind Zeichen der Endlichkeit und machen rat- und oft rastlos. Es kann doch noch nicht vorbei sein, denken wir.
Vom Gefühl her, hat doch alles erst angefangen. Irrtum. Es ist schon vorbei, bevor es angefangen hat. Nur noch eine Frage der Zeit. Die Welt um uns herum erscheint völlig widersinnig. Alles hetzt und rennt hinter dem Glück her- was ist das denn überhaupt? Ein paar Tage Urlaub oder vielleicht auch ein wenig mehr. Wir wollen das Leben festhalten, immer weiter, höher schneller. Doch bei allem was wir tun, zerrinnt unsere Lebenszeit zwischen unseren Fingern und wir können machen was wir wollen, wir halten sie nicht auf. Wir halten uns an Menschen fest, die selber der Hilfe benötigen. Wir zerstören Beziehungen, weil wir in Egoismus baden. Erwartungen sind nicht erfüllbar, weil sie immer in die Vollen gehen. Wer selber kaum Erwartungen hat, kann auch andere nicht erfüllen.
Die Zeit. Die Zeit ist der schleichende Tod aller Planungen und Träume. Sie steht immer dann im Raum, wenn man sich ihrer bewusst ist. Sie ist unregierbar und ihre Berechenbarkeit eine fürchterliche Täuschung.
Das kleine Glück, nach dem sich jedes Lebewesen sehnt, kann niemand lange halten. Was heute das Schönste von der Welt ist, ist Morgen völlig normal und Übermorgen einfach nur noch Alltag. Er bestimmt unser Glück und die Regelmäßigkeit oder der Trott wird als Glück wahrgenommen. Aber der Kopf spielt da nicht mit. Er sehnt sich nach dem anderen. Dem vermeintlichen Glück und den überirdischen Empfindungen, die für immer anhalten.
Und dann kommt wieder der Herbst ins Spiel. Die Blätter fallen, sind noch mal schön in der schmeichelnden Herbstsonne. Der schon bald folgende Winter stellt schließlich mit Brutalität die Gewissensfrage.