Interview mit den Verfassern des Artikels „Aus der Geschichte lernen und die Stadt Herborn weiterentwickeln“ Hans Dieter Wieden und Ronald Lommel.
? Wie kamen sie denn auf die Idee sich mit der Herborner Stadtentwicklung zu befassen
H.D. Wieden: Der Ausgangspunkt war die Bebauungsplanung am Hintersand und die Erweiterungspläne Eitzenhöfer. Diese hatten den Geschichtsverein Anfang des Jahres sehr beschäftigt. Im Nachgang kam aktuell das Thema Weinberg dazu. Während eines gemeinsamen kaffeetrinkens kam die Frage auf, wo liegt eigentlich das Hauptproblem solcher Ereignisse, dass solche Einzelprojekte immer völlig isoliert von den Wirkungen auf Stadtbild, Stadtentwicklung und Klima durchgezogen werden. So hat sich bei uns der Eindruck vertieft, dass diese Einzelentscheidungen genau die Ursache dafür sind, dass unsere Stadt nicht richtig vorankommt. Wir sind dann zu der Erkenntnis gekommen, dass wir ein Stadtentwicklungskonzept brauchen, das diese Punkte berücksichtigt. Somit entstand dieses Papier.
? Die Stadtentwicklung ist doch eigentlich Sache der Politik. Haben sie das Gefühl, dass da etwas schleift.
H.D. Wieden: Ich vermisse bei den politischen Entscheidungen den notwendigen Weitblick. Man muss bei Einzelentscheidungen zwingend darüber nachdenken, wie diese sich auf die Stadtentwicklung auswirken. Es hat in der Vergangenheit schon einige Stadtentwicklungsprozesse gegeben, die aber allesamt nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwunden sind. Wir beide sind zwar im Geschichtsverein, glauben aber dennoch nicht, dass alles bewahrt werden muss. Unser Credo ist: Wir müssen aus der Geschichte für die Zukunft lernen. Eine Stadt, also auch die unsrige, muss sich immer weiterentwickeln, weil sich auch die äußeren Umstände ändern. Man muss jedoch wissen wo man hin will, nur dann kann man auch in Einzelprojekten vernünftig entscheiden.
R. Lommel: Man muss auch wissen, was man hat. Wir haben ein wunderschönes Städtchen. Das wird von Menschen, die von außen kommen, immer wieder bestätigt. Es kann daher nicht sein, dass man das Stadtbild isoliert darstellt und links und rechts entwickeln sich betonierte Krebswucherungen. Eine Vision dient doch dazu, das Gefühl von Heimat, von meiner Stadt, erhalten und nicht kaputtgemacht wird. Es gab ja mal eine Altstadtmanagerin, die sich darum kümmern sollte, dass sich die Geschäfte in der Innenstadt weiterentwickeln und nicht leer stehen. Noch mal zum Thema Geschichte. Die ist ja nicht einfach nur Selbstzweck. Geschichte dient dazu, dass man die Zukunft positiv in den Blick nehmen kann. Geschichte hört nie auf. Es ist eine Linie die von der Vergangenheit in die Zukunft führt. Sie muss ich immer im Hinterkopf haben, damit ich Zukunft gestalten kann. Für mich ist Heimat ganz wichtig und unbedingt erhaltenswert. Außerdem inspiriert mich schon immer der Bibelspruch „Suchet der Stadt Bestes (Jer 29,4-14). Das ist für mich als evangelischer Pfarrer eine Leitlinie, die mein Handeln ein Stück weit bestimmt. Auch ich sehe ein geplantes Gesamtkonzept als Voraussetzung für alle Einzelmaßnahmen.
? Braucht man denn für all diese Maßnahmen nicht die nötigen Mittel, die derzeit nicht da sind.
H.D. Wieden: Nein, man braucht für diese erste Phase der Stadtentwicklung kein Geld. Man spart hingegen eine Menge, weil man Fehler vermeidet. Dazu gehört ein ganz wichtiger Grundsatz, Fehler aus der Vergangenheit muss man nicht wiederholen. Man denke nur an die Zyklen der Stadtentwicklung und das nicht nur in Herborn. So hatten wir zum Beispiel die “ Auto gerechte Stadt“. Damals sind deshalb einige Städte kaputtgebaut worden. In Herborn haben wir Gott sei‘s gedankt den alten Kern erhalten. Aber auch unsere wunderschönen Fachwerk-Häuser, die erhalten blieben, müssen Nutzungen zugeführt werden, dass sie lebendig bleiben und nicht leer stehen. Dafür muss man viel Hirn einsetzen und nachdenken. Das kostet erst einmal kein Geld. Wir haben in unseren Gedanken ganz bewusst das Datum der 800 Jahr-Feier im Jahr 2051 ausgesucht, weil uns die Agenden 2020 und andere nahe liegenden Zeiträume viel zu kurz gedacht erschienen. Viele unserer Stadtgebiete sind planungsrechtlich nicht vernünftig unterlegt. Das führt dazu, dass man bei Einzelprojekten keine klare Richtung hat. Man zieht sich auf die Bebauung der näheren Umgebung zurück und dann entsteht so etwas wie derzeit am Schönblick als Terassenhäuser. Das ist ebenso ein abschreckendes Beispiel wie auch die Bebauung des Pertuisplatzes. Leider kann ich da auch die Bebauung der Diakonie am Herborner Hintersand nicht von ausnehmen. Der entscheidende Fehler war da, dass man nicht die Idee des „Lebens am Fluss“ umgesetzt hat. Die ist im Übrigen nicht neu. Auch braucht die Stadt ein Veranstaltungsgebäude von der Größenordnung, die mindestens der noch bestehenden Konferenzhalle entspricht. Das ist bitter nötig und muss unbedingt in ein Entwicklungskonzept einbezogen werden.
? Bevor wir zum Ende kommen bleibt nur die Frage, haben wir noch etwas vergessen.
R. Lommel: Mir ist wichtig noch einmal deutlich zu sagen, dass der Beschluss der Stadtverordneten vor zwei Tagen in ihrer Sitzung ein ganz wichtiger Anfang war. Dieses positive Zeichen zu den „Planungen“ am Weinberg geschlossen Nein zu sagen, muss ausgebaut werden. So sollten unsere Visionen nicht nur in der Öffentlichkeit diskutiert werden, sondern auch vielleicht im Bauausschuss. Was sind dann die nächsten Schritte, damit nicht wieder solche Dinge wie Pertuisplatz, Schönblick und Weinberg passieren? Man muss jetzt dranbleiben.
H.D.Wieden: Wir machen auf jeden Fall weiter, legen aber Wert auf die Feststellung, dass wir keine Partei sein wollen. Uns wäre es am liebsten, wenn die ersten Stufen der Diskussion in der Bürgerschaft mit interessierten Bürgern stattfänden. Ich ziehe den Hut vor der Abstimmung über den Weinberg, die einstimmig zur Ablehnung des Projektes führte. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass so etwas einmal in Herborn möglich sei. Dennoch ist es mir ganz wichtig, dass gerade die Bürger an diesem Papier über die Stadtentwicklung mitwirken. Mir geht es darum zu erfahren, welche Vorstellungen die Menschen von unserer Stadt in 20, 30 und 40 Jahren haben. Wir werden nicht darauf warten, bis die Politik Initiativen ergreift und ihr auch nicht die Arbeit wegnehmen. Die Vergangenheit hat aber leider gezeigt, dass die Politik momentan leider nicht in der Lage ist, die Dinge zu bewegen.
R. Lommel: Die Bürger müssen die Initiative ergreifen und zwar derart, dass die Parteien diejenigen sind, die die Ergebnisse nur noch zu bündeln haben.
H.D. Wieden: Hier möchte ich noch einen ganz wichtigen Satz aus dem Grundgesetz Art. 20 Abs. 2 S. 2 einbringen: Die Parteien wirken an der Willensbildung des Volkes mit. Darüber sollten sich die einen oder anderen klar werden.
Das Interview führte Siegfried Gerdau