Sieg fürs Herborner Klima

In der Herborner Stadtverordneten-Sitzung am Donnerstagabend im Merkenbacher Bürgerhaus sprachen sich die Parlamentarier aller Fraktionen einstimmig gegen eine Bebauung des Herborner Weinbergs aus.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Dorothea Garotti, fand es beachtlich und so von ihr noch nicht erlebt, dass ein Dringlichkeitsantrag diese Einigkeit aller Fraktionen erfahren habe. Obwohl sie von Parlamentspräsident Jörg Michael Müller (CDU) noch kurz vor der Verlesung des Antrags augenzwinkernd wegen einer Unaufmerksamkeit gerügt wurde: „Kollegin Garotti, sie genießen keinen Welpenschutz, sie machen das lange genug“, beeindruckte sie mit einem Statement, dass es in sich hatte. Sie führte die Artenvielfalt von Flora und Fauna ebenso ins Feld, wie auch den Schutz von Habitatbäumen. Die schmale Straße, die direkt am Naturdenkmal Weinberg vorbeiführt, sähen einschlägige Behörden als für eine Erschließung nicht geeignet an. Die extreme Steillage erforderten dazu große Erdbewegungen. Der Grundstückseigentümer hätte ab dem 1. Oktober die Berechtigung dort oben im Nikolaisgrund alles bis auf die Habitatbäume zu fällen, ohne dass vorher noch einmal genehmigen lassen zu müssen. Garotti appellierte an die Parlamentarier durch die Signalisierung einen Bauantrages bei Eingang abzulehnen, dem Investor zusätzliche Kosten im Vorfeld zu ersparen. Ihr Statement endete mit: „Wir werden eine Bebauung grundsätzlich ablehnen“ und dafür erhielt sie den Beifall aller Anwesenden.

Der Weinberg, Nikolaisgrund oder Pfeifers-Loch, wie der Volksmund den Mischwald unterhalb des Aussichtsturm Dillblick auch nennt, ist gerettet.

Was wohl viele Parlamentarier brüskiert hatte, war die Erkenntnis, dass sie zwar im Vorfeld über das Vorkaufsrecht für die Grundstücke abgestimmt hatten, diese Abstimmung aber völlig überflüssig war. Die Verwaltung hätte es einfach versäumt die Politiker darüber zu informieren, dass der Termin dazu schon verstrichen war, so konnte man hören. Also war dies schon damals lange „hinterm Pflug“. Das brachte Klaus Enenkel (FWG) in Harnisch. Zu einen bemängelte er die Tischvorlage, die er als ungenügend in der Sache bezeichnete. So hätte er sich gewünscht, dass man über die Grundstücksfläche Nikolaisgrund ausreichend informiert worden wäre. „Es schmeckt mir außerdem überhaupt nicht, dass wir über die Fristen im unklaren gelassen wurden, so nach dem Motto vielleicht merken die das ja gar nicht“. Das werde, wenn das so weiter geht und was meine Person betrifft,in Zukunft so richtig Ärger geben, fügte er aufgebracht hinzu.

Ein wenig verwunderlich war die Tatsache, dass in Sachen Weinberg-Bebauungsabsichten und der damit verbundenen Eingriffe in die intakte Natur die Signale wohl bei den meisten Parlamentariern auf Rot standen, aber Bürgermeisterin Katja Gronau die wohl übersehen hatte. Es war im Verlauf der Sitzung jedenfalls nicht klar erkennbar, dass sie den Argumenten Herborn-Klima-Stadt und Erhalt des zu schützenden Waldgebiets oberhalb des Weinbergs positiv gegenüber gestanden wäre. Eine klare Haltung für die Stadt und deren Bürger sieht anders aus. Es gilt immer noch der Grundsatz, dass sich Einzelinteressen dem Gemeinwohl unterzuordnen haben.

Fakt ist, dass am Donnerstagabend nicht nur das Herborner Klima gesiegt hat, sondern auch die Basisdemokratie. Es wurde deutlich, dass Volkes Wille und Vernunft mit rein demokratischen Mitteln und mittels Einhaltung parlamentarischer Spielregeln, durchzusetzen sind.

Streif Stellungsnahme zum Bebauungsplan am Herborner Weinberg

Die Anfrage eines Anwohners des Herborner Weinberges beantwortete das Fertighausunternehmen Streif (siehe obiges Schreiben) und macht damit gleichzeitig deutlich, dass der Investor die Bebauung des Nikolaisgrund unterhalb des Dillturmes auf eigene Verantwortung betreibt. Streif vertraut somit auf die Kompetenz der Baugenehmigungs-Behörde, die letztlich grünes Licht geben muss.

Geht es der letzten grünen Lunge Herborns an den Kragen?

Die Gerüchteküche brodelt. Nichts Genaues weiß man nicht und die Verantwortlichen in Herborn hüllen sich weitgehend in Schweigen. Es geht um eine Bebauung des Gebietes am Herborner „Weinberg“. Genauer um die Abholzung und Zersiedelung eines mit alten Laubbäumen bewachsenen Waldstreifens, der nicht nur eine grüne Lunge für Herborn ist. Das Objekt der Begierde heißt im Volksmund „Pfeifers Loch“. Es bildet mit seinen alten Bäumen nicht nur eine Schutzbarriere vor den Schadstoffen der naheliegenden Autobahn A 45. Zahlreiche Tiere siedeln hier. Angefangen von Fuchs, Reh und Hase über Wildschweine und vor allem Fledermäuse. Von den immer mehr durch ähnliche Bauvorhaben zurückgedrängten Vogelarten gar nicht erst zu reden.

Pfeifers Loch bildet eine Baum-Barriere zwischen A 45 und der Stadt. Foto: privat

Hier oben wollen Investoren eine Reihe Streif-Fertighäuser bauen und dies ohne Rücksicht auf die noch intakte Natur und den Klima regulierenden Faktoren. Wenn man auf die Facebook-Seite von Streif Herborn geht, bekommt man eine Vorstellung von der Bauweise der Häuser. Streif Herborn wirbt mit seinem Musterhaus in der Schönbacher Str. 39 a in Herborn-Hörbach. So hat man mal eine Vorstellung wie diese Häuser zwischen der Burger Landstraße und der Zufahrt zur Autobahnraststätte Dollenberg aussehen könnten.

Hier, in dem blau umrandeten Gebiet, sollen die Bäume fallen und die Häuser gebaut werden. Foto: privat

Besonders schmerzhaft ist die Tatsache, dass angeblich die rund 100 Laubbäume schon in den nächsten Wochen gefällt werden sollen. Diese Bäume, mit ihren weit ausladenden Kronen, sind ja nicht nur ein schöner Anblick, sondern haben als Schadstofffilter gerade in unserer immer mehr belasteten Umwelt eine sehr wichtige Funktion. Ihre Wurzeln verfestigen einen Schiefer-Hangbereich, der bei Starkregen ohne diese natürlichen Anker in Bewegung geraten könnte. Die Auswirkungen mag man sich nicht vorstellen.

Wird auf das Naturdenkmal Weinberg keine Rücksicht genommen?

Als Zufahrt für sämtliche Baufahrzeuge und Materialtransporte wird die sehr steile und schmale Straße Am Weinberg dienen. Sie soll wohl auch nach Fertigstellung der Häuser den Bewohnern als Straße zur Verfügung stehen. Vermutlich muss die Stadt auch bei der Verlegung der Versorgungsleitungen dem Naturdenkmal Weinberg ein wenig zu Leibe rücken. Ob das im Sinne von Denkmal- und Naturschutz ist, darf bezweifelt werden. Den Herborner Bürgern, die mit Masse und berechtigter Weise vom Denkmalschutz gegängelt werden, stellt sich schon die Frage wie man plötzlich mit einem Naturdenkmal derart frevelhaft umgehen will.  

Die schmale Zufahrtsstraße Am Weinberg müsste drastisch verbreitert werden.
Ein Idyll für Fauna und Flora soll schon bald Geschichte sein.

Der Sturm der Entrüstung über die angedachte Fällung eines alten Baums auf dem Hintersandparkplatz ist noch nicht verklungen. Man spricht von „grüner Lunge“ und deren Bedeutung für die Stadt. Der Weinberg ist die letzte große grüne Lunge und hier geht es nicht um einen, sondern um rund hundert Bäume und die Tierwelt, die ohne nicht überleben kann. Grund genug laut und vernehmlich darüber nachzudenken, ob man die einfach so absägt, um Platz für gerade einmal vier oder fünf Häuser zu schaffen. Man müsste in diesem Fall von Anachronismus sprechen. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Aussage des ehemaligen Herborner Bürgermeisters Hans Benner (SPD) ein. Er sprach vor Jahren anlässlich der Freigabe des Baugebietes in der oberen Alsbach von der letzten Maßnahme dieser Art.

Der ausufernden Zersiedelung der Landschaft muss dringend Einhalt geboten werden. Besonders eine Stadt wie Herborn, die immer mehr auf Erholung suchende Menschen und Kurzzeittourismus setzt, muss darüber nachdenken, wie sie die immer mehr zurückgehende Industrie kompensiert. Sich auf die kreativen Unternehmer zu verlassen, die Herborn immer mehr zu einer Erlebnisstadt mit kaum noch einer überschaubaren Anzahl von Café-Häusern und einer funktionierenden Gastronomie machen, ist zu dünn. Hier muss die Administration die besten Rahmenbedingungen schaffen und darauf achten, dass nicht die Interessen einzelner Vorrang bekommen.

Wenn diese grüne Lunge platt gemacht wird, hat das Auswirkungen aufs Herborner Klima.

Die schöne und liebenswerte Stadt an der Dill darf nicht weiter zersiedelt werden. Wie es gehen muss, zeigt schon seit ein paar Jahren ein innovativer Investor mit großem Lokalpatriotismus. Er kauft Häuser bevorzugt in der Innenstadt auf, renoviert sie mit viel Einsatz und Geldmittel, um sie anschließend sehr erfolgreich und bezahlbar zu vermieten oder auch zu verkaufen. So bleibt der Stadtkern am Leben und eine Zersiedelung mit Neubauten an der Peripherie der Stadt ist unnötig.

Herborn lebt nicht zuletzt durch seine Schönheit im Kern der Stadt und nicht wegen Neubauten an der Peripherie.

Die Verantwortlichen der Stadt Herborn wiegeln noch ab. Und doch haben aber wie man hört die Streif-Haus-Investoren Jessica und Frank Gierlichs aus Hörbach schon vor längerer Zeit das Flurstück „Pfeifers Loch“ für „nen Appel und en Ei“, also vergleichsweise geringen Betrag, gekauft, der aber angeblich noch nicht geflossen sei. Es sieht so aus, dass wenn der Bauantrag für dieses zum Bauland erklärte Gebiet bei der Stadt eingeht, er auch bearbeitet werden muss.

Ob hier tatsächlich „nur“ Einfamilien- oder höhere Mehrfamilienhäuser gebaut werden, liegt im Bereich der Spekulation. Der ist im Übrigen bei der derzeitigen Verschleierungspolitik Tür und Tor geöffnet und die Gerüchteküche kocht bereits über. Die Menschen wünschen sich eine transparente Politik und möchten an Vorhaben, die sie direkt oder indirekt betreffen, angemessen beteiligt werden. Die Straße Am Weinberg, die eher einem geteerten Feldweg ähnelt soll angeblich in aller nächster Zeit verbreitert und neu angelegt werden. Dies sei aber unabhängig von irgendwelchen Baumaßnahmen schon länger geplant, vernahm man aus dem Rathaus. Man kann nur hoffen, dass das Hinweisschild „Naturdenkmal“ dabei nicht zu Schaden kommt und entfernt werden muss. Die Herborner Grünen in Gestalt von Dorothea Garotti und Reiner Dworschak sind bereits involviert und waren auch schon vor Ort, um sich einen Überblick zu verschaffen. Text und Fotos: sig

Nachtrag

Nach einem ausführlichen Gespräch mit der Herborner Bürgermeisterin Katja Gronau (parteilos) kristallisierte sich heraus, dass bei der Stadtverwaltung bisher noch kein Bauantrag beziehungsweise Bauanfrage eingegangen ist. Somit kann Gronau auch keine detaillierten Auskünfte zum Thema Weinberg-Bebauung erteilen. Ihr sei lediglich bekannt, dass das Grundstück (hier genannt) Pfeifers Loch) von einem Privat-Eigentümer an die Investoren Jessica und Frank Gierlichs verkauft worden sei.

Wenn also jetzt ein Bauantrag von den beiden Genannten eingehen sollte, wird er entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und der Beteiligung aller zuständigen Stellen wie Naturschutzbehörde etc. völlig ergebnisoffen bearbeitet.

Davon völlig unabhängig könnte jedoch im Vorfeld die Fällung der auf dem Grundstück stehenden Bäume ab dem 31.August 2020 erfolgen. Dazu nachfolgend das entsprechende Gesetz.

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) (Auszug)

§ 39 Allgemeiner Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen; Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen

(1) Es ist verboten,

1.

wild lebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten,

2.

wild lebende Pflanzen ohne vernünftigen Grund von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten,

3.

Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören.

(2) Vorbehaltlich jagd- oder fischereirechtlicher Bestimmungen ist es verboten, wild lebende Tiere und Pflanzen der in Anhang V der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Arten aus der Natur zu entnehmen. Die Länder können Ausnahmen von Satz 1 unter den Voraussetzungen des § 45 Absatz 7 oder des Artikels 14 der Richtlinie 92/43/EWG zulassen.

(3) Jeder darf abweichend von Absatz 1 Nummer 2 wild lebende Blumen, Gräser, Farne, Moose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter sowie Zweige wild lebender Pflanzen aus der Natur an Stellen, die keinem Betretungsverbot unterliegen, in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen.

2.

Bäume, die außerhalb des Waldes, von Kurzumtriebsplantagen oder gärtnerisch genutzten Grundflächen stehen, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen; zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen,

3.

nach § 15 zulässige Eingriffe in Natur und Landschaft,

4.

zulässige Bauvorhaben, wenn nur geringfügiger Gehölzbewuchs zur Verwirklichung der Baumaßnahmen beseitigt werden muss.

Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung bei den Verboten des Satzes 1 Nummer 2 und 3 für den Bereich eines Landes oder für Teile des Landes erweiterte Verbotszeiträume vorzusehen und den Verbotszeitraum aus klimatischen Gründen um bis zu zwei Wochen zu verschieben. Sie können die Ermächtigung nach Satz 3 durch Rechtsverordnung auf andere Landesbehörden übertragen.

(6) Es ist verboten, Höhlen, Stollen, Erdkeller oder ähnliche Räume, die als Winterquartier von Fledermäusen dienen, in der Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. März aufzusuchen; dies gilt nicht zur Durchführung unaufschiebbarer und nur geringfügig störender Handlungen sowie für touristisch erschlossene oder stark genutzte Bereiche.

(7) Weiter gehende Schutzvorschriften insbesondere des Kapitels 4 und des Abschnitts 3 des Kapitels 5 einschließlich der Bestimmungen über Ausnahmen und Befreiungen bleiben unberührt.

Dieses seltene Exemplar wohnt auch in Pfeifers Loch. Foto: privat

     

Wie schön, dass es so nah an der Stadt noch diese Waldbewohner gibt. Foto: privat