Aus der Geschichte lernen und die Stadt Herborn weiterentwickeln

Thesen zur Herborner Stadtentwicklung bis zur
800 Jahrfeier in 2051

Von Hans-Dieter Wieden und Ronald Lommel

Integriertes Stadtentwicklungskonzept

Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept beinhaltet eine strategische Ausrichtung der zukünftigen urbanen Entwicklung. Es muss alle widerstreitenden Interessen angemessen berücksichtigen und bildet die Leitplanken für die Diskussionen über Einzelprojekte.

Dabei muss es auch die Einflüsse von außen sowie landes-, bundes- und weltweiten Entwicklungen berücksichtigen. Insbesondere sind Klimaschutz, die Veränderungen der Mobilität und der demografische Wandel wichtige Indikatoren.

Herborn leidet seid vielen Jahren darunter, dass es über kein integriertes Stadt-Entwicklungskonzept verfügt. Seit Stadtbaumeister Iffert und der Sanierung der Altstadt ist kein Konzept für eine in sich schlüssige auf Jahrzehnte angelegte Stadtentwicklung mehr erkennbar.

Immer wieder ist festzustellen, dass Entscheidungen über Einzelprojekte getroffen werden, die Optionen einer möglichen urbanen Entwicklung vereiteln oder behindern.

Politische Entscheidungen lassen die Partizipation der Bevölkerung, Transparenz und eine eingehende Abwägung aller Interessen vermissen.

Man gewinnt den Eindruck, dass Aspekte des Klimaschutzes, der Natur, des Stadtbildes und der Lebensqualität hinter wirtschaftlichen Interessen Einzelner zurückstehen.

Blick auf Schloss und Dillturm . Im Hintergrund die Raststätte Dollenberg.

Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind der Neubau hinter der Volksbank, die Erweiterungspläne des Kaufhauses und das Parkdeck am Hintersand sowie die Pläne zum Bau von Mehrfamilienhäusern am Weinberg. Aber auch die Bebauung am Pertuisplatz und der Bau des Hauses der Diakonie erfolgten ohne einen eingehenden Abwägungsprozess insbesondere zur urbanen Entwicklung – Stichwort Leben am Fluss – und die klimatischen Auswirkungen der Bebauung auf die Frischluftzufuhr für die Altstadt und das Stadtbild.

Ausgangslage

Herborn ist eine Kleinstadt mit neun Stadtteilen und rund 20.000 Einwohner, davon etwa die Hälfte in der Kernstadt. Mit den Nachbarstädten Dillenburg und Haiger nimmt Herborn die Funktion eins Mittelzentrums wahr. Weitere Zentren sind die Kreisstadt Wetzlar mit rund 50.000 Einwohnen, ca. 30 Kilometer entfernt, und Siegen im Nachbarland Nord-Rhein-Westfallen mit rund 100.000 Einwohnern, ca. 45 Kilometer entfernt.

Herborn ist industriell und von Gewerbebetrieben geprägt und verfügt (noch) über eine ausgewogene Einzelhandelsstruktur.

Das Stadtbild der Kernstadt ist geprägt von der fast vollständig erhaltenen Altstadt mit seinen historischen Häusern, die seit Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts saniert wurden.

Herborner Marktplatz.

Das Bild der Stadtteile ist geprägt von in Teilen erhaltenen Ortskernen. Die Stadtteile haben sich ihre Identität weitestgehend bewahrt.

Historisch bestehen Beziehungen zum hessischen Westerwald und der angrenzenden Region im Westerwaldkreis sowie ins Aartal.

Während die Stadtteile tendenziell Einwohner verlieren, wächst die Einwohnerschaft der Kernstadt moderat. Die Gesamteinwohnerzahl ist auch durch den Zuzug aus umliegenden Gemeinden stabil.

Zur demografischen Entwicklung verweisen wir auf die Studie der Bertelsmannstiftung in der Anlage.

Die Vision Herborn 2051

Zu Beginn der 2020er Jahre wurden die Ziele der Stadtentwicklung in einem Integrierten Stadtentwicklungskonzept beschrieben.

Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept wurde unter intensiver Beteiligung der Bevölkerung und aller relevanten Gruppen diskutiert. Der Diskurs wurde leidenschaftlich und fair geführt. Über die Ziele bestand weittestgehend Konsens.

In 2051 feiert Herborn 800 Jahre Stadtrechte. Herborn hat sich positiv entwickelt und gilt als die Perle im Dilltal, in der die Menschen gerne wohnen, einkaufen und arbeiten.

Die hier aufgeführten Ziele sollen als Beitrag zum Diskurs dienen! Die Punkte sind in alphabethischer Reihenfolge aufgeführt.

  • Digitale Infrastruktur

Alle Haushalte verfügen über einen dem Stand der Technik entsprechenden Internetanschluss. Das Herborn-Netz und die Herborn App (Modell: Sag‘s Wien) ermöglichen der Bevölkerung die Information über aktuelle Ereignisse und die Kommunikation mit Politik und Stadtverwaltung.

· Familien

Herborn ist attraktiv für Familien. Es verfügt über attraktive Angebote zur Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr und über differenzierte Schulangebote.
Es gibt attraktive Spielmöglichkeiten und Freizeitangebote für alle Altersgruppen.

Die Stadt und die Stadtteile sind durchzogen von Grünflächen, die zum Spielen und Verweilen einladen.

· Klimaneutrale und umweltverträgliche Entwicklung

Die klimaneutrale und umweltverträgliche Entwicklung berücksichtigt Maßnahmen zur Reduzierung der Wärme in den Kernen von Kernstadt und Stadteilen. Hierzu zählen der Verzicht auf Versiegelung von Flächen, der Erhalt der Bäume durch eine Baumschutzsatzung sowie die Begrünung von Gärten, Freiflächen und Dächern.

Der Tendenz zu pflegeleichten Steingärten ist ggf. mittels Satzung entgegen zu wirken.

Die Bauleitplanung berücksichtigt konsequent die Umweltbelange und die Auswirkungen auf das Klima und verhindert Bauvorhaben, die auf diese Belange keine Rücksicht nehmen.

Der ehemalige Pertuisplatz musste Bauten mit hochpreisigen Eigentumswohnungen weichen.

Bei allen Bauvorhaben werden zwingend Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt, die die Auswirkungen auf das Mikroklima, insbesondere die Frischluftzufuhr und den Luftaustausch untersuchen und bewerten.

Auch die unmittelbare Anwohnerschaft wird bei den Planungen selbstverständlich einbezogen.

· Lärmschutz

Lärmschutzwände und Bepflanzungen an der Autobahn mindern Lärm und Emissionen. Bäume säumen die Umgehungsstraße und die Einfall- und Durchgangsstraßen in der Stadt und in den Stadteilen.

Die Bahnstrecke ist in allen Ortslagen begrünt, auf der Strecke sind nur lärmarme Züge zugelassen.

Die Begrünungen dienen zugleich dem Mikroklima und der Frischluftversorgung der Kernzonen.

· Mobilität

Die Entscheidungen berücksichtigen die sich ändernden Anforderungen an Mobilität.

Die Verkehrsführungen in den Kernzonen berücksichtigen vorrangig Fußgänger und Radfahrer. Mittelfristig werden in den Kernzonen nur noch Fahrzeuge mit elektro- oder anderen klimafreundlichen Antrieben zugelassen. Parkmöglichkeiten werden rund um die Kernzonen angeboten.

Der Bahnhof ist modern, ansprechend und mit Aufenthaltsqualität ausgebaut.

Herborner Stadtverordnete besichtigten im Juni 2017 den Bau-Platz hinter der VR-Bank in der Sandstraße.

In den Richtungen Gießen, Kassel und Frankfurt sowie Siegen, Köln und Dortmund bestehen attraktive umsteigefreie Angebote des Regional- und Fernverkehrs im halbstündigen Takt einschließlich der Randzeiten bis mindestens 22 Uhr.

Herborn ist Haltepunkt für die IC Verbindung „Frankfurt- Münster“.

Alle Stadtteile sind mit der Kernstadt und untereinander durch ein Netz von Radwegen und öffentlichen Personennahverkehr verbunden.

· Stadtverwaltung und Politik

Es ist geübte Praxis, dass alle Projekte im Vorfeld von Entscheidungen transparent mit den Bürgern diskutiert werden.

Die Stadtverwaltung ist freundlich, zugänglich und informiert sachlich und transparent.

Der Umgang Aller ist von wechselseitigem Respekt, Offenheit und Fairness geprägt.

Blick auf Marktplatz und Herborner Rathaus.

· Tourismus

Tourismus ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Ziel ist die Anzahl der Besucherinnen und Besucher sowie deren Verweildauer zu steigern.

Unzählige Touristen schauen sich die alte Fachwerkstadt oft im Rahmen von Stadtführungen wie hier mit Pfarrer in Ruhe Ronald Lommel an.

Herborn bietet ein vielfältiges und attraktives kulinarisches und kulturelles Angebot für Einheimische und Touristen. Die geschichtliche Bedeutung Herborns unterstreicht das Museum in der ehemaligen Corvin‘schen Druckerei.

Blick auf die Corvinsche Druckerei.

Die Stadtmarketing GmbH ist mit ausreichend personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet, um Veranstaltungen zu organisieren, Stadtführungen anzubieten und für die Stadt Herborn zu werben.

Auch hier steht das Motto „Leben am und auf dem Fluss“ im Mittelpunkt.

· Urbanität

Ziele der urbanen Entwicklung sind der Erhalt der historischen Kerne in Kernstadt und den Stadtteilen. Dabei ist der Erhalt des Stadtbildes von entscheidender Bedeutung.

Zur Steigerung der Attraktivität und der Lebensqualität setzt die Stadt Herborn auf „Leben am Fluss“. Ziel sind durchgehende für Fußgänger und Radfahrer nutzbare Wege auf beiden Seiten der Dill mit Aufenthaltsqualität zum Verweilen für Jung und Alt.

Der Dillturm.

· Wirtschaftliches Leben

Herborn verfügt über attraktive Standorte für Industrie- und Gewerbebetriebe und eine ausgewogene Einzelhandelsstruktur.

Die Einzelhandelsbetriebe haben sich zusammengeschlossen, bieten Webshops und die Lieferung der Waren an die Kundschaft gemeinsam an.
Dies reduziert den Lieferverkehr erheblich. Die Herborn-Card ist zu einer App mit Bestell- und Bezahlfunktion ausgebaut und erfreut sich großer Beliebtheit.

· Wohnen

Herborn verfügt über ausreichend bezahlbaren Wohnraum für alle Schichten der Bevölkerung. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft ist ein wesentlicher Faktor für die Bereitstellung auch altersgerechter und barrierefreier Wohnungen.

Als Flächen für eine Ergänzung der Wohnbebauung dienen vorrangig Baulücken, An- und Umbauten bestehender Bausubtanz und Brachflächen, wie z.B. im Hinterthal oder dem ehemaligen Toom- Baumarkt.

Wohnen ist auch in den Stadtteilen durch die Vernetzung der Mobilität attraktiv.
Dies beugt der Wanderbewegung in die Kernstadt vor.

Die Stadt unterstützt aktiv und finanziell Sanierungsprojekte für Wohnen in der Altstadt und Stadtteilkernen. Sie fördert aktiv die Verwendung freier Grundstücke und leerstehender Wohnungen. Fotos: Siegfried Gerdau