Herborns Kulturgüter sind ein Besuchermagnet

Herborns wohl wichtigstes Kulturdenkmal neben Schloss, Hohe Schule und evangelischer Stadtkirche, ist sicher die Corvinsche Druckerei. Der Großteil der Herborner Bevölkerung kennt die alten Gebäude, aber so richtig kennen wird sie bis auf wenige geschichtlich Interessierte kaum jemand.

Die Corvinsche Druckerei ist eines der erhaltungswürdigsten Kulturgüter Herborns.

Der historische Burgsitz der adeligen Familie Mudersbach wurde im Jahr 1591 von Christoph Corvinius gekauft und in eine akademische Druckerei verwandelt.

Der Anlass: Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg eröffnete im Herbst 1584 mitten in der Stadt die Hohe Schule und er wollte der jungen Akademie auch eine eigene Druckerei zur Seite stellen. Die Hohe Schule sollte damals auf der Grundlage des reformierten Bekenntnisses ein geistiges Bollwerk für die katholische Gegenreformation sein. Die Academia Nassauensis war eine universitätsähnliche deutsche Hochschule. Sie bestand von 1584 bis 1817. Die Theologische Fakultät der Hochschule existiert im Theologischen Seminar (Schloss Herborn) der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in veränderter Form weiter.

Die Arbeiten der Professoren, Gelehrtenübungen und die notwendigen Lehrbücher mussten gedruckt und die protestantische Welt mit Schriftwerken versehen werden.

Hier in diesen Gemäuern wurde vor 400 Jahren die Piscator-Bibel gedruckt.

Graf Johann fand mit Corvinius in der Frankfurter Druckerei dessen Vaters den geeigneten Mann. Dieser tiefgläubige, reformierte Christ verstand sein Handwerk und hatte beste Beziehung zu der damaligen Gelehrtenwelt. Er kam mit 6 Gesellen und zwei Druckpressen nach Herborn. Seine Mitarbeiter wurden auf das reformierte Bekenntnis verpflichtet und darauf ohne Erlaubnis des Landesherrn nichts zu veröffentlichen. Er erhielt finanzielle Zuwendungen, Heu und Brennholz und wurde von allen bürgerlichen Lasten und Steuern befreit.

Corvinius erste drucktechnische Leistung war der von Olevian besorgte Auszug aus Calvins „Institutio Christianae Religions“. Dieser wurde Anfang 1586 gedruckt. Bis zu seinem Tod 1620 hatte Corvinius etwa 900 Drucke aufgelegt.

Die Herborner Druckerei brachte Werke hervor, deren Bedeutung weit über dem lokalen Akademiebetrieb hinausging. Das entsprach dem europäischen Rang der Hohen Schule in den ersten 50 Jahren ihres Bestehens.

Besonders die Piscator-Bibel, die erste vollständige deutsche Bibel nach Martin Luther und zugleich das erste deutsche Bibelwerk 1602 bis 1604, das Piscator vom Lateinischen ins Deutsche übersetzte, machte Furore. Der Universitätsdrucker versah die einzelnen Kapitel mit Vorreden, angehängten Erklärungen schwieriger Textstellen und Lehren. All das atmete natürlich den reformierten Geist und die Piscator-Bibel rief dementsprechend heftige Reaktionen auch im lutherischen Lager hervor.

Professor Johannes Alsted legte 1620 sein „Compendium Philosophicum“ vor, dass ebenfalls in der Corvinschen Druckerei gedruckt wurde. Auf 3 400 Seiten hatte er das gesamte Wissen seiner Zeit, eingeteilt in 27 wissenschaftliche Fächer, zusammengetragen. Eine Neuauflage erschien im Folioformat 1630 unter dem Titel „Enzyclopaedia“ und war gleichzeitig die erste deutsche Enzyklopädie überhaupt.

Die Blütezeit der Hohen Schule dauerte von 1584 bis 1639. Dann folgte eine Zeit der Nachblüte bis 1727 allerdings nur noch mit deutschem Rang. Die letzte Phase der Akademie dauerte noch bis zum Jahr 1817. Aber damals hatte sie höchstens noch eine provinzielle, nassauische Bedeutung.

Der Herborner Buchdruck hatte eine unbestritten hohe Qualität. Es mangelte jedoch immer an der entsprechenden Kapazität. Die Ursache lag nicht an einer gewissen wissenschaftlichen Beschränktheit, sondern an dem bescheidenen Zuschnitt der Herborner Verhältnisse. Mit den großen Druckereien in Amsterdam, Frankfurt oder Nürnberg konnte sich die Corvinsche nie messen.

Als markantes Wahrzeichen steht am Ende des Corvinschen Grundstücks der Bürgerturm.

Die gesamte Anlage ging später in den Besitz der Herborner Familie Paul über. Ein schlüssiges Konzept für deren Weiternutzung von „Pauls Hof“ stand lange Jahre aus. Ernst Paul, der ehemalige Rektor der Comeniusschule in Herborn, verkaufte den Familienbesitz vor einigen Jahren. Der gesamte Komplex wurde von den Käufern an den Lahn-Dill-Kreis vermietet.

In diesem Zusammenhang vielleicht noch ein Wort: „Die Herborner Bürger lieben ihre Stadt und sind stolz darauf sie im rechten Licht präsentieren zu können. Besonders die Kulturgüter liegen ihnen am Herzen und um deren Erhalt hat sich die Administration in der Vergangenheit mehr oder weniger gut gekümmert. Einen besonderen Verdienst an dem schönen Fachwerkgesicht der Stadt hatten und haben jedoch seine Bürger. Sie investierten und investieren immer noch viel Geld und Zeit, damit nicht nur Touristen und Tagesgäste mit Freude durch die Stadt an der Dill schlendern sondern die Einwohner hier gerne und gut leben.   

Beim Blick vom Kirchhof auf das historische Ensemble fühlen sich die Besucher ins Mittelalter zurückversetzt.

Ein sehr weiser alter Spruch noch zum Schluss, den ich einst an einem Haus in Merenberg las: „Wer da bauet an der Straßen, muss die Leute reden lassen.“

Quellen: „Von der Hohen Schule zum theologischen Seminar Herborn 1584 bis 1984, Die Einrichtung der Hohen Schule a) Akademische Druckerei von Joachim Wienecke.

Der Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung und dem historischen Bildmaterial meines Freundes Winfried Rohrbeck, Herborn.

Fotos und Text: Siegfried Gerdau

Aus der Geschichte lernen und die Stadt Herborn weiterentwickeln

Thesen zur Herborner Stadtentwicklung bis zur
800 Jahrfeier in 2051

Von Hans-Dieter Wieden und Ronald Lommel

Integriertes Stadtentwicklungskonzept

Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept beinhaltet eine strategische Ausrichtung der zukünftigen urbanen Entwicklung. Es muss alle widerstreitenden Interessen angemessen berücksichtigen und bildet die Leitplanken für die Diskussionen über Einzelprojekte.

Dabei muss es auch die Einflüsse von außen sowie landes-, bundes- und weltweiten Entwicklungen berücksichtigen. Insbesondere sind Klimaschutz, die Veränderungen der Mobilität und der demografische Wandel wichtige Indikatoren.

Herborn leidet seid vielen Jahren darunter, dass es über kein integriertes Stadt-Entwicklungskonzept verfügt. Seit Stadtbaumeister Iffert und der Sanierung der Altstadt ist kein Konzept für eine in sich schlüssige auf Jahrzehnte angelegte Stadtentwicklung mehr erkennbar.

Immer wieder ist festzustellen, dass Entscheidungen über Einzelprojekte getroffen werden, die Optionen einer möglichen urbanen Entwicklung vereiteln oder behindern.

Politische Entscheidungen lassen die Partizipation der Bevölkerung, Transparenz und eine eingehende Abwägung aller Interessen vermissen.

Man gewinnt den Eindruck, dass Aspekte des Klimaschutzes, der Natur, des Stadtbildes und der Lebensqualität hinter wirtschaftlichen Interessen Einzelner zurückstehen.

Blick auf Schloss und Dillturm . Im Hintergrund die Raststätte Dollenberg.

Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind der Neubau hinter der Volksbank, die Erweiterungspläne des Kaufhauses und das Parkdeck am Hintersand sowie die Pläne zum Bau von Mehrfamilienhäusern am Weinberg. Aber auch die Bebauung am Pertuisplatz und der Bau des Hauses der Diakonie erfolgten ohne einen eingehenden Abwägungsprozess insbesondere zur urbanen Entwicklung – Stichwort Leben am Fluss – und die klimatischen Auswirkungen der Bebauung auf die Frischluftzufuhr für die Altstadt und das Stadtbild.

Ausgangslage

Herborn ist eine Kleinstadt mit neun Stadtteilen und rund 20.000 Einwohner, davon etwa die Hälfte in der Kernstadt. Mit den Nachbarstädten Dillenburg und Haiger nimmt Herborn die Funktion eins Mittelzentrums wahr. Weitere Zentren sind die Kreisstadt Wetzlar mit rund 50.000 Einwohnen, ca. 30 Kilometer entfernt, und Siegen im Nachbarland Nord-Rhein-Westfallen mit rund 100.000 Einwohnern, ca. 45 Kilometer entfernt.

Herborn ist industriell und von Gewerbebetrieben geprägt und verfügt (noch) über eine ausgewogene Einzelhandelsstruktur.

Das Stadtbild der Kernstadt ist geprägt von der fast vollständig erhaltenen Altstadt mit seinen historischen Häusern, die seit Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts saniert wurden.

Herborner Marktplatz.

Das Bild der Stadtteile ist geprägt von in Teilen erhaltenen Ortskernen. Die Stadtteile haben sich ihre Identität weitestgehend bewahrt.

Historisch bestehen Beziehungen zum hessischen Westerwald und der angrenzenden Region im Westerwaldkreis sowie ins Aartal.

Während die Stadtteile tendenziell Einwohner verlieren, wächst die Einwohnerschaft der Kernstadt moderat. Die Gesamteinwohnerzahl ist auch durch den Zuzug aus umliegenden Gemeinden stabil.

Zur demografischen Entwicklung verweisen wir auf die Studie der Bertelsmannstiftung in der Anlage.

Die Vision Herborn 2051

Zu Beginn der 2020er Jahre wurden die Ziele der Stadtentwicklung in einem Integrierten Stadtentwicklungskonzept beschrieben.

Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept wurde unter intensiver Beteiligung der Bevölkerung und aller relevanten Gruppen diskutiert. Der Diskurs wurde leidenschaftlich und fair geführt. Über die Ziele bestand weittestgehend Konsens.

In 2051 feiert Herborn 800 Jahre Stadtrechte. Herborn hat sich positiv entwickelt und gilt als die Perle im Dilltal, in der die Menschen gerne wohnen, einkaufen und arbeiten.

Die hier aufgeführten Ziele sollen als Beitrag zum Diskurs dienen! Die Punkte sind in alphabethischer Reihenfolge aufgeführt.

  • Digitale Infrastruktur

Alle Haushalte verfügen über einen dem Stand der Technik entsprechenden Internetanschluss. Das Herborn-Netz und die Herborn App (Modell: Sag‘s Wien) ermöglichen der Bevölkerung die Information über aktuelle Ereignisse und die Kommunikation mit Politik und Stadtverwaltung.

· Familien

Herborn ist attraktiv für Familien. Es verfügt über attraktive Angebote zur Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr und über differenzierte Schulangebote.
Es gibt attraktive Spielmöglichkeiten und Freizeitangebote für alle Altersgruppen.

Die Stadt und die Stadtteile sind durchzogen von Grünflächen, die zum Spielen und Verweilen einladen.

· Klimaneutrale und umweltverträgliche Entwicklung

Die klimaneutrale und umweltverträgliche Entwicklung berücksichtigt Maßnahmen zur Reduzierung der Wärme in den Kernen von Kernstadt und Stadteilen. Hierzu zählen der Verzicht auf Versiegelung von Flächen, der Erhalt der Bäume durch eine Baumschutzsatzung sowie die Begrünung von Gärten, Freiflächen und Dächern.

Der Tendenz zu pflegeleichten Steingärten ist ggf. mittels Satzung entgegen zu wirken.

Die Bauleitplanung berücksichtigt konsequent die Umweltbelange und die Auswirkungen auf das Klima und verhindert Bauvorhaben, die auf diese Belange keine Rücksicht nehmen.

Der ehemalige Pertuisplatz musste Bauten mit hochpreisigen Eigentumswohnungen weichen.

Bei allen Bauvorhaben werden zwingend Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt, die die Auswirkungen auf das Mikroklima, insbesondere die Frischluftzufuhr und den Luftaustausch untersuchen und bewerten.

Auch die unmittelbare Anwohnerschaft wird bei den Planungen selbstverständlich einbezogen.

· Lärmschutz

Lärmschutzwände und Bepflanzungen an der Autobahn mindern Lärm und Emissionen. Bäume säumen die Umgehungsstraße und die Einfall- und Durchgangsstraßen in der Stadt und in den Stadteilen.

Die Bahnstrecke ist in allen Ortslagen begrünt, auf der Strecke sind nur lärmarme Züge zugelassen.

Die Begrünungen dienen zugleich dem Mikroklima und der Frischluftversorgung der Kernzonen.

· Mobilität

Die Entscheidungen berücksichtigen die sich ändernden Anforderungen an Mobilität.

Die Verkehrsführungen in den Kernzonen berücksichtigen vorrangig Fußgänger und Radfahrer. Mittelfristig werden in den Kernzonen nur noch Fahrzeuge mit elektro- oder anderen klimafreundlichen Antrieben zugelassen. Parkmöglichkeiten werden rund um die Kernzonen angeboten.

Der Bahnhof ist modern, ansprechend und mit Aufenthaltsqualität ausgebaut.

Herborner Stadtverordnete besichtigten im Juni 2017 den Bau-Platz hinter der VR-Bank in der Sandstraße.

In den Richtungen Gießen, Kassel und Frankfurt sowie Siegen, Köln und Dortmund bestehen attraktive umsteigefreie Angebote des Regional- und Fernverkehrs im halbstündigen Takt einschließlich der Randzeiten bis mindestens 22 Uhr.

Herborn ist Haltepunkt für die IC Verbindung „Frankfurt- Münster“.

Alle Stadtteile sind mit der Kernstadt und untereinander durch ein Netz von Radwegen und öffentlichen Personennahverkehr verbunden.

· Stadtverwaltung und Politik

Es ist geübte Praxis, dass alle Projekte im Vorfeld von Entscheidungen transparent mit den Bürgern diskutiert werden.

Die Stadtverwaltung ist freundlich, zugänglich und informiert sachlich und transparent.

Der Umgang Aller ist von wechselseitigem Respekt, Offenheit und Fairness geprägt.

Blick auf Marktplatz und Herborner Rathaus.

· Tourismus

Tourismus ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Ziel ist die Anzahl der Besucherinnen und Besucher sowie deren Verweildauer zu steigern.

Unzählige Touristen schauen sich die alte Fachwerkstadt oft im Rahmen von Stadtführungen wie hier mit Pfarrer in Ruhe Ronald Lommel an.

Herborn bietet ein vielfältiges und attraktives kulinarisches und kulturelles Angebot für Einheimische und Touristen. Die geschichtliche Bedeutung Herborns unterstreicht das Museum in der ehemaligen Corvin‘schen Druckerei.

Blick auf die Corvinsche Druckerei.

Die Stadtmarketing GmbH ist mit ausreichend personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet, um Veranstaltungen zu organisieren, Stadtführungen anzubieten und für die Stadt Herborn zu werben.

Auch hier steht das Motto „Leben am und auf dem Fluss“ im Mittelpunkt.

· Urbanität

Ziele der urbanen Entwicklung sind der Erhalt der historischen Kerne in Kernstadt und den Stadtteilen. Dabei ist der Erhalt des Stadtbildes von entscheidender Bedeutung.

Zur Steigerung der Attraktivität und der Lebensqualität setzt die Stadt Herborn auf „Leben am Fluss“. Ziel sind durchgehende für Fußgänger und Radfahrer nutzbare Wege auf beiden Seiten der Dill mit Aufenthaltsqualität zum Verweilen für Jung und Alt.

Der Dillturm.

· Wirtschaftliches Leben

Herborn verfügt über attraktive Standorte für Industrie- und Gewerbebetriebe und eine ausgewogene Einzelhandelsstruktur.

Die Einzelhandelsbetriebe haben sich zusammengeschlossen, bieten Webshops und die Lieferung der Waren an die Kundschaft gemeinsam an.
Dies reduziert den Lieferverkehr erheblich. Die Herborn-Card ist zu einer App mit Bestell- und Bezahlfunktion ausgebaut und erfreut sich großer Beliebtheit.

· Wohnen

Herborn verfügt über ausreichend bezahlbaren Wohnraum für alle Schichten der Bevölkerung. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft ist ein wesentlicher Faktor für die Bereitstellung auch altersgerechter und barrierefreier Wohnungen.

Als Flächen für eine Ergänzung der Wohnbebauung dienen vorrangig Baulücken, An- und Umbauten bestehender Bausubtanz und Brachflächen, wie z.B. im Hinterthal oder dem ehemaligen Toom- Baumarkt.

Wohnen ist auch in den Stadtteilen durch die Vernetzung der Mobilität attraktiv.
Dies beugt der Wanderbewegung in die Kernstadt vor.

Die Stadt unterstützt aktiv und finanziell Sanierungsprojekte für Wohnen in der Altstadt und Stadtteilkernen. Sie fördert aktiv die Verwendung freier Grundstücke und leerstehender Wohnungen. Fotos: Siegfried Gerdau