Erfahrungssache

Mit dem „49 Euro“ Ticket unterwegs

Von Siegfried Gerdau

Das Angebot der Deutschen Bahn (DB), mit einem Deutschland-Ticket für monatlich 49 Euro kreuz und quer durch die Republik zu reisen, klingt verlockend. Es ist allerdings ausnahmslos für Regionalzüge, Busse und S‑Bahnen gedacht. Nicht gültig ist das Von Siegfried in Fernverkehrszügen wie ICE, IC oder EC. Auch die Regionalzüge von DB-Fernverkehr sind für „49 Euro-Reisende“ tabu. Viele Menschen aller Altersklassen nutzen bereits das Monats-Abo obwohl es nur vom Monatsanfang bis zu dessen Ende gilt. Wem das ausreicht, sollte auch an die Kündigung denken, sonst verlängert es sich automatisch.

Vor dem Kauf gilt es ein paar Hürden zu bewältigen und die sind für viele Reisewillige nicht zu unterschätzen. Die Buchung funktioniert ausschließlich online und nicht am Fahrkartenautomaten auf einem Bahnsteig. Benötigt wird ein PC oder Handy mit Internetzugang und natürlich ein funktionstüchtiges Bankkonto. DB spricht von ein paar Minuten, die man brauche, um einen der subventionierten Fahrscheine online zu erwerben. Das gilt aber höchstens für Menschen, die mit der digitalen Technik vertraut sind. Es empfiehlt sich auch die App DB-Navigator auf dem Smartphone zu installieren. Hier wird dann das gebuchte Ticket in Form eines Barcodes für den Kontrolleur angezeigt.

Mein „Bahn-Abenteuer“ fängt auf dem Herborner Bahnhof an. Das Ziel, Frankfurt Hauptbahnhof, sollte ich ohne Umsteigen um 10.14 Uhr erreichen, sagt mir zumindest meine Handy- App. Bei der Wahl des individuellen Fahrplans, muss man sehr genau darauf achten, keine Fernverkehrs-Züge wie ICE, IC oder EC zu besteigen. Das käme dann einer Schwarzfahrt und damit einer Straftat gleich.

Deutsche Bahnhöfe sind eher selten Vorzeigeobjekte

Den Zustand des Herborner Bahnhofs beschreibt eine Reisende, mit Ziel Freiburg, als „erbärmlich“, dem konnte ich nicht widersprechen. Sie relativiert jedoch diese Aussage, „in Freiburg sieht es genauso aus.“

Eine Gruppe Landfrauen steht auf dem Bahnsteig und ich will wissen, ob sie mit dem Deutschlandticket fahren. Ja, aber nicht alle. Für die meisten von ihnen rechnet sich das nicht, weil die Landbevölkerung meist wegen der bescheidenen Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Auto angewiesen ist.

Ich besteige den RB 40 um 8.40 Uhr und der ist verhältnismäßig leer, aber sehr gut klimatisiert. Ein ICE brettert durch den Bahnhof. Der ist jedoch für mich keine Option. Mit mir steigt die 30-jährige Karin (Name geändert) ein. Sie fährt jeden Tag mit dem günstigen Ticket nach Wetzlar zur Arbeit. Vorher hatte sie ein Jahresticket und das kostete sie rund 1 000 Euro im Jahr. Mit 49 Euro im Monat käme sie nun bedeutend billiger weg. Der Rhein-Main-Verkehrs-Verbund (RMV) habe die Umstellung für sie erledigt, so dass sie keine Probleme damit hatte. Im Gegensatz zum heutigen Samstag, seien die Züge jedoch meist brechend voll. Mit der Bummelei, durch Halt an jedem Bahnhof, müsse man in der Regel leben.

Auch der RB 40 bummelt und ich beschließe mir die Landschaft ein wenig anzuschauen. Das wurde aber auf meiner Seite nichts. Sprayer hatten die komplette Seitenwände des Wagens einschließlich der Fenster nachhaltig, aber dafür sehr CO2-intensiv in der Mache gehabt. Die Kontaktaufnahme im Wagen gestaltet sich nicht ganz einfach. Die meisten Reisenden schauen mit gesenkten Köpfen auf ihre Handys und sind wegen der eingeführten In-Ear-Kopfhörer kaum ansprechbar.

Handys erschweren die Kommunikation

Eine Radfahrer-Gruppe in voller Ausrüstung besteigt den Waggon und findet Platz in einem dafür vorgesehenen Abteil. 49-Euro-Ticket? Fehlanzeige. Die Radlerinnen und Radler sind Landesbedienstete und die fahren in Hessen kostenlos, einschließlich ihrer Räder. Ihr Ziel ist Frankfurt und dann geht’s per Rad nach Rüdesheim.

Eine kleine Zwangspause in Gießen wegen „Vorfahrtsgewährung“ ist kein Problem. Sie dauerte keine 5 Minuten. Mir gegenüber nimmt ein junger Mann Platz und ich traue meinen Augen nicht, er packt ein Buch aus und oh Wunder, er liest darin. Eine Mitreisende-mit Handy in Vorhalte-reagiert auf meine zaghaften Kommunikationsversuche recht ungehalten. „Was wollen sie wissen, ob ich mit diesem Ticket fahre, ich muss doch nicht jede Frage beantworten.“ Meine gemurmelten Entschuldigungen erreichen sie schon nicht mehr.

Pünktlich um 10.14 Uhr fährt mein Zug im Frankfurter Hauptbahnhof auf Gleis 15 ein. Nix mit Unpünktlich. Ich kann es kaum glauben und bin von dem Gewimmel im Bahnhof überwältigt. Beim Turmbau zu Babel-Projekt muss es ähnlich zugegangen sein. Man hört alle Sprachen dieser Welt. Die Menschen schieben sich förmlich in alle Richtungen und es kann einem schwindlig werden.

Mittendrin sehe ich eine alte Dame, die mir etwas überfordert erscheint. Sie sucht den Bahnsteig und die Abfahrt des Zuges nach Gießen. Soweit meine sparsamen Bahnfahrt-Kenntnisse reichen, helfe ich ihr gerne. Ein 49-Euro- Ticket hat sie nicht. Dafür fährt sie einfach zu wenig mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dann sei das Sparticket doch zu teuer.

Zugbegleiterinnen und Begleiter sind die guten Seelen des Bahnbetriebs

Der RB 30 steht schon auf Bahnsteig 15, aber eine nette Zugbegleiterin empfiehlt mir den etwas späteren Zug zu nehmen, weil ihrer schon überfüllt sei. Die Seniorin möchte aber mitfahren, weil sie um 12 Uhr in Gießen erwartet werde. Die Bedienstete der HLB weiß, dass die meisten ihrer Fahrgäste das 49 Euro-Deutschlandticket benutzen. Das sei mittlerweile so gut wie normal. Probleme, weil die Benutzer nicht so ganz mit der online-Buchung klargekommen sind, gäbe es schon hier und da einmal. Das sei aber kein Grund gleich „loszulegen“. Eine Nachfrage per Internet sei für sie kein Problem und die Leute müssten dann einfach ihr Ticket nachreichen. Im Übrigen kenne sie, aufgrund langer Erfahrung, ihre Pappenheimer recht gut.

Nach Bad Nauheim zum 21st European Elvis Festival möchte sie und das sei riesig, sagt eine weitere Mitreisende. Sie ist eine alte Häsin, was das 9 Euro und jetzige 49 Euro-Ticket angeht. Sie fährt das ganze Jahr kreuz und quer durch die Republik und schaut sich alle interessanten Städte an. Meist ist sie alleine unterwegs. Das sei aber überhaupt kein Problem. „Ich bin sehr zufrieden damit, das Einzige was mich nervt, sind die Verspätungen oder gar Ausfälle ganzer Züge.“

Sogar gestrandet ist sie einmal in einer Süddeutschen Stadt und weil der Bahnhof geschlossen wurde, musste sie und die anderen Reisenden stundenlang davorstehen. Damit sie bei Kontrollen immer ihre Berechtigung nachweisen kann und nicht Gefahr läuft bei leerem Handy-Akku blöd dazustehen, hat sie sich bei RMV eine Karte im Scheckkartenformat ausstellen lassen. Hier ist ebenfalls der Barcode eingearbeitet, den sie auch im Handy hat. „Wenn ich meine Touren alle normal bezahlen müsste, könnte ich mir meine Deutschlandfahrten keinesfalls leisten“, sagt die Langenselbolderin.

Ohne Auto geht es auch

Mit zwei kleinen Kindern, einem Kinderwagen und einem schwer bepackten Fahrrad, entert eine junge Familie den Wagen. Aus Heidelberg kommen sie, um ihre Familie im alten Dillkreis zu besuchen. Ein Auto hätten sie nicht und brauchten es auch in ihrer Stadt nicht. Dafür hat er, der leidenschaftliche Pedalritter, aber das Deutschlandticket für alle Fälle, wie den aktuellen. Zu Hause legen sie fast alle Wege mit den Rädern oder zu Fuß zurück. Ob aus ideellen oder rein praktischen Gründen habe ich nicht in Erfahrung gebracht. Die Mitnahme von Fahrrädern beim 49-Euro-Ticket sei in allen Bundeländern und Betreibergesellschaften unterschiedlich geregelt. Er habe diesbezüglich schon einige Diskussionen geführt, erzählt der Vater. Beim Aussteigen lege ich Hand an, weil genau an dem Edinger Bahnhof der Ausstieg fast lebensgefährlich, weil sehr hoch ist.

Ab Gießen fährt der RB 40 wieder alle Bahnhöfe an und plötzlich taucht die erste Kontrolleurin auf. Es ist wieder die nette Petra und ich bestehe darauf, dass sie meinen Barcode auf dem Handy scannt. „Alles klar“, sagt sie und wünscht mir ein gutes Nach-Hause-Kommen. Ich wünsche noch einen guten Arbeitstag und steige in Herborn aus.

Mein Fazit: Das Deutschland oder 49 Euro-Ticket ist bei den Menschen angekommen und hat auch einige zu Bahnreisenden gemacht, denen das Bahnfahren vorher zu teuer war. Die anfänglichen Probleme sind weitgehend ausgeräumt, aber noch immer tun sich Seniorinnen und Senioren mit der online-Buchung schwer und müssen auf die Unterstützung ihrer jungen Verwandten zurückgreifen. Dass die Züge oft stark besetzt sind, muss man ebenso in Kauf nehmen, wie die ausschließliche Fahrt mit Regionalbahnen. Bei den Verspätungen und Zugausfällen ist man mit den „Normalreisenden“ in einem Boot. Es trifft alle gleich. Da die alternativen Fortbewegungsmittel wie Fahrräder immer mehr propagiert werden, muss die Frage nach kostenloser Beförderung beim 49 Euro- Ticket unbedingt bundesweit einheitlich geregelt werden.  Insgesamt gilt und da bin ich der gleichen Meinung wie viele andere auch: Das Deutschlandticket ist dann prima, wenn man es oft benutzt. Auf „ab und zu“ mal langen Strecken, kann es sich aber auch rechnen.

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