Tunnelblick

Die Zeit der Isolation und Reisebeschränkungen eröffnet der heimischen Region ungeahnte Chancen. Viele Menschen entdecken erst jetzt, dass die nähere Umgebung ja gar nicht so uninteressant ist. Vieles hat man bisher noch nicht gesehen oder einfach übersehen. Am vergangenen Freitag habe ich mir die Gegend um das „Wildweiberhäuschen“ am Ortsausgang von Langenaubach vorgeknöpft. Dass hier der Eingang zum Rabenscheider Tunnel zu finden ist, wissen die meisten von uns. Wer kann sich aber noch daran erinnern, als hier der „Balkan-Express“ oder auch „Aubachtalbahn“ genannt, hindurch brauste. 1926 wurde der erste Teilabschnitt von Haiger bis zum Bahnhof Rabenscheid (der liegt kurioserweise am Ortsausgang von Langenaubach) in Betrieb genommen. Die restliche Strecke einschließlich des über 1,1 Kilometer lange Tunnel wurde 1939 eröffnet. 420 Menschen arbeiteten daran im Drei-Schicht-Betrieb. Nicht nur für den Durchgangsverkehr wurde der komplett aus Ziegelsteinen gemauerte Eisenbahntunnel genutzt. Als die Luftüberlegenheit der Alliierten immer größer wurde, entschloss sich die Nazi-Führung im letzte Kriegsjahren hier Flugzeugmotore bauen zu lassen. Insider wollen wissen, dass dies Antriebsaggregate für die V2 waren. Die Züge fuhren fortan nur noch bis zum Eingang des Bauwerks. Nach Kriegsende wurde alles abgebaut, der Tunnel wieder hergerichtet. Dem Zugverkehr nach Breitscheid stand nichts mehr im Wege. Den Niedergang des Bahntransportes ereilte aber auch den Balkan-Express. 1980 stellte die Bahn den Personenzugverkehr darauf komplett ein. Güter wurden noch 17 Jahre länger auf der romantischen Strecke transportiert. Mit dem Abbau der Gleise 2006 auf Breitscheider Gebiet und 2011 auf Haigerer Terrain, versank alles in einen Dornröschenschlaf. Die stabilen Vollbeton-Brücken zum Beispiel über den Aubach oder bei Flammersbach, zeugen noch heute von einer Zeit, der Verkehrsexperten mittlerweile wieder nachtrauern. 2004 schnitt man den Abschnitt zwischen Langenaubach und dem Tunnelportal für eine Fernsehproduktion frei. Seitdem kann man wieder völlig ungehindert vom Bewuchs durch den Tunnel spazieren. Lediglich feste Schuhe wegen des Schotteruntergrunds und eine Taschenlampe sind nötig (schon wenige Meter nach dem Eingang umfängt den Wanderer tiefschwarze Nacht). Am Höhenwanderweg entlang dem Aubach findet sich auch ein verwunschener Weiher, den man durch eine Öffnung sehen und über einen ordentlichen Weg erreichen kann. sig/Fotos: Gerdau