Monumentalbau am Herborner Friedhof

Die Reichseierstelle reduziert derweil die Eierzuteilung.

Man schrieb das Jahr 1916. Deutschland befand sich mitten im I. Weltkrieg und die anfängliche Euphorie war zumindest an den Fronten in Frankreich und Russland einer ersten Ernüchterung gewichen. An der sogenannten Heimatfront mussten die Menschen den Gürtel enger schnallen, aber immer noch war das Deutsche Kaiserreich in dem Glauben, unbesiegbar zu sein. Der „ruhmreiche“ Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und die goldenen Jahre danach, hatten einen Allmachtswahn im ganzen Volk ausgelöst, der erst zögerlich von der Realität eingeholt wurde. Die Vorstellungen von Großmacht und Einzigartigkeit fanden auch in der Architektur ihren Ausdruck und machten selbst vor dem flachen Land nicht halt.

In einer Sonderbeilage der Herborner Zeitung vom  Oktober 1916 konnte man den Planungsfortschritt beim Umbau des Herborner Friedhofs, der dort in blumigen Worten geschildert wurde, detailliert verfolgen. Die zukünftige Gesamtanlage, die auch eine Krieger-Gedächtnishalle mit Krieger-Grabstätte beinhaltete hatte der Cölner königliche Gartenbaudirektor Finken für die Bärenstadt geplant. Der monumentale Charakter der Halle erinnerte stark an das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig oder das Niederwalddenkmal am Rhein.

Die Sonderbeilage von 1916

Zur gleichen Zeit, nämlich am 1. Oktober 1916, wurde auf Anordnung der Reichseierstelle verkündet, dass bis auf weiteres jeder Verbraucher innerhalb von drei Wochen nur zwei Eier erhält.

Am Tag darauf wurde im Deutschen Reich die Reichsfleischkarte eingeführt. Die Karte berechtigt zum Bezug von 250 g Fleisch pro Woche.

Völlig unbeeindruckt von dieser Entwicklung plante man in Herborn munter drauf los und kaum jemand verschwendete einen Gedanken daran, dass diese Pracht in Stein und Beton auch bezahlt werden musste.

Die Versorgung mit Milch wird im Deutschen Reich ab dem 3. Oktober 1916 der Reichsstelle für Speisefette übertragen. Anspruch auf Vollmilch haben künftig Kinder unter sechs Jahren, stillende und schwangere Frauen (drei Monate vor der Entbindung) sowie Kranke mit amtlicher Bescheinigung. Die Herstellung von Sahne wird den Molkereien untersagt.

„Die städtischen Kommissionen wollen es sich angelegen sein lassen, durch Winke und  Ratschläge dahin zu wirken, dass auch der Ausstattung der einzelnen Grabstätten die notwendige Sorgfalt angewendet wird“. So schrieben die damaligen Redakteure und ließen auch die Hinweise auf das Verzichten von steinernen Grabumrandungen mit in den Artikel einfließen.

Kaiser Wilhelm II. besucht am 19. Oktober für einen Tag die Somme-Front und besichtigt mehrere Truppenteile. Der Kaiser spricht den Soldaten den Dank des deutschen Volkes für die geleisteten Dienste aus. Spätere Geschlechter, so der Kaiser, werden diese Leistungen unzweifelhaft als “die leuchtendsten Beispiele deutschen Siegeswillens” anerkennen.

Für die zehntausende dort Gefallenen brauchte man auch in Herborn keine Gräber freizuhalten. Die wurden in französischer Erde bestatten- wenn man noch Reste von ihnen fand.

Bereits im ursprünglichen Friedhofsplan, vom Stadtbaumeister Stahl umgesetzt, wurde der symmetrische Mittelplatz für die Kapelle vorgesehen, schrieb das Herborner Tageblatt. Weiter las man: „Wegen der Zeitumstände konnte aber bis jetzt noch nicht mit dem Bau der Kapelle begonnen werden. Inzwischen hat der Krieg und seine Folgen Veranlassung zu einer Erweiterung des Bauprogramms gegeben. Nach vorangegangener Kommissionsberatung haben die städtischen Körperschaften beschlossen mit dem Kapellenbau eine Kriegergedächtnisstätte zu verbinden und in nächster Nähe zur Kapelle geeignete und würdige Kriegsgräber anzuordnen“.   

Der Hauptgrundriss.

Das Volk aß inzwischen Steckrüben und darbte für den großen Sieg, aber die Planungen am neuen Herborner Friedhof gingen unverdrossen weiter.

Die Architekturglieder und die Säulen der Halle sollen aus hessischem Basaltlava oder aus Muschelkalk, die äußeren Mauerflächen aus Stützelberger Bruchsteinen hergestellt werden“. So ging es ungebremst in blumigen Worten weiter und endete   mit: „In dieser monumental gedachten Ausführung wird das Gebäude mit seiner nächsten Umgebung ein würdiges Gedächtnismal zur Erinnerung an all die Getreuen, welche ihr Leben dahin geben mussten für uns und unser Vaterland“.

Die monumentale Halle sollte nie gebaut werden.

Unterschrieben war das Ganze vom Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung.

Birkendahl, Bürgermeister und Ludwig Hofmann, königlicher Baurat und Stadtverordnetenvorsteher.

Bis zum Abbruch der Kämpfe im Herbst 1916 an der Somme verloren Deutsche und Briten jeweils rund 500.000, die Franzosen 200.000 Mann.

Die glorreiche Herborner Krieger-Gedächtnishalle sollte jedoch nie gebaut werden.

Quelle: Zeitungsbeilage Herborner Tageblatt aus dem Archiv von Winfried Rohrbeck

Text und Repros: Siegfried Gerdau