Von Siegfried Gerdau
Eines will ich einmal vorausschicken: Ich möchte nicht auf diesen willkürlich festgelegten Tag fixiert werden. Der 3. Oktober begann doch schon viel früher in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), wie dieser Teil Deutschlands hieß.
Wie auch ich, sind die meisten Zeitzeugen in und mit unserem zweigeteilten Land groß geworden. Hüben wie drüben hatte man sich mit dem Ist-Zustand arrangiert und der Schnittpunkt beider Nachkriegsblöcke Nato und Warschauer-Pakt, Bundesrepublik und DDR, war Tummelplatz der Weltmächte, und somit auch potentielles Zielgebiet zahlreicher Atombomben und Raketen. Gebetsmühlenhaft leierten Westdeutschlands Politiker jedes Jahr zum 17. Juni die Wiedervereinigungsformel herunter, während im Osten die Ewigkeit der Mauer zwischen beiden Staaten von der Nomenklatura mit Leidenschaft besungen wurde. Am besagten 17. Juni regte sich offener Widerstand gegen das sozialistische aber menschenverachtende System aus der Mitte der DDR-Bevölkerung. Der wurde jedoch schon bald gemeinsam mit der russischen Kriegsmaschinerie zerschlagen. Michail Gorbatschow, der spätere sowjetische Präsident, brachte ab 1985 mit Glasnost (Stimme) und Perestroika (Umgestaltung) eine Reform auf den Weg, die letztlich zum Zerfall der Sowjetunion führte. In unserem Nachbardeutschland keimte daher wieder Hoffnung auf Veränderung. Es formierten sich friedliche Bewegungen („Wir sind das Volk“) und die damals schwache evangelische DDR-Kirche setzte sich an die Spitze der protestierenden Menschen. Sie, die sich jahrzehntelang mehr oder weniger mit dem System arrangiert hatte, erkannte sofort die Möglichkeiten, die sich aus dem Umbau der Sowjetrepublik für ein künftiges Gesamtdeutschland ergaben.
Ich war damals Soldat, zwar ohne ideologisches Feindbild, aber mit klaren Vorstellungen aus welcher Richtung der Feind kommen würde, wenn er denn kommen sollte. Noch 1988 diskutierte ich mit einem jungen Leutnant, der mir seine Visionen von einer Wiedervereinigung „verkaufen“ wollte. Diese Vorstellungen gipfelten darin, dass er sich schon bald in Uniform durch das Brandenburger Tor spazieren sähe. Für mich, der seine GDP-Bereitstellungsplätze (General Verteidigungs-Plan) an der damaligen innerdeutschen Grenze wie die eigene Westentasche kannte, waren es Hirngespinste. Er hingegen sollte Recht behalten. Am 9. Oktober 1989 gab es die erste große Montagsdemonstration in Leipzig. Es hieß zwar im Artikel 27 der DDR-Verfassung: Jeder Bürger hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß, seine Meinung frei und öffentlich zu äußern“, aber als die Bevölkerung dieses Recht für sich immer mehr in Anspruch nahm, schritt die Staatsmacht ein. Am 16. Oktober waren es bereits 150 000 friedliche Demonstranten und die Macht des DDR-Staates bröckelte unaufhaltsam. Am Ende des Jahres 1989 war der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden schon fast Geschichte.
Und jetzt, 30 Jahre später?
Heute am 3. Oktober 2020 schaue ich in unser Land und über die nicht mehr vorhandene Grenze hinweg. Haben die als Antifaschisten getarnten Sozialisten und Kommunisten nichts aus der Geschichte gelernt. Es ist doch gar nicht so lange her, dass ein ganzes Volk am Gängelband einer verbrecherischen Clique hing und viele Menschen, die sich dagegen zur Wehr setzten, Leben und Freiheit verloren. Ein ganzes Volk wurde bespitzelt und viele Menschen hauten sich gegenseitig in die Pfanne mit Konsequenzen für Leben und Freiheit.
Unter dem Deckmantel „Kampf gegen rechts“ versuchen reaktionäre Kräfte die noch soliden Fundamente des Deutschen Staates Stück für Stück auszuhöhlen und in Misskredit zu bringen. Vieles steht auf dem Prüfstein sozialistischer Weltanschauungen oder wird rücksichtslos in Frage gestellt. Unsere durchaus wehrhafte Demokratie schaut nach rechts, während auf der anderen Seite des politischen Spektrums der gesellschaftliche Umbau bereits im Gange ist.
Den wenigsten Menschen wird allerdings bewusst, was hier passiert. Sie nehmen Gängelung, Steuererhöhungen und faktische Rentenkürzungen mit stoischer Gelassenheit hin. Die deutsche Wirtschaft, einst Vorzeigeobjekt für ein System mit zahlreichen Schwächen aber auch unendlichen Stärken, krankt wegen ideologischer Spielchen einiger Hasardeure und dies beileibe nicht nur wegen Corona. Die Freiheit der eigenen Meinung ist garantiert, aber nur dann, wenn es die Richtige ist. Die Keule der Besserwissenden und Meinungsmacher dagegen ist allgegenwärtig. „Uns geht es allen doch so gut“, verkünden die etablierten Parteien. Die Bundesbürger, die wirtschaftlich auf der Strecke geblieben sind oder noch bleiben, sind die zivilen Kollateralschäden, die billigend in Kauf genommen werden.
Heute, am 3. Oktober, verkünden mancher Orts nur die Kirchen wie wichtig es ist, wenn Menschen in Freiheit leben können. Ja es ist sehr wichtig und dafür lohnt es sich immer zu kämpfen. Wenn Kämpfe jedoch nicht nur verbal, sondern mit Zerstörung und körperlicher Gewalt einhergehen und immer mehr auf der Straße ausgetragen werden, stimmt etwas im Lande und den Köpfen mancher Menschen nicht.
Die Exekutive des Staates und allen voran die Justiz, stehen oftmals hilflos einem Mob gegenüber, gegen den die Pegida-Marschierer wahre Messdiener waren. Das eine ist so wenig in Ordnung wie das andere. Proteste JA, da bin ich absoluter Demokrat. Gewalt, in welcher Form und von wem auch immer, NEIN.
Da hilft sicher nicht nur beten, genauso wenig wie ausschließlich Beten zum Zusammenbruch der DDR geführt hat!
Wir müssen jetzt sehr gut aufpassen, dass unser Staat seine Stärke gegen links und rechts deutlicher macht und wir müssen ihn dabei unterstützen. Da hilft es nichts, wenn die Denunziation oder „guten Rechtsbrüche“, wie damals in der DDR, geadelt werden. Erinnern wir uns bitte wieder an unsere bundesdeutschen, demokratischen Ziele.
Der Artikel 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland garantiert das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und schützt die Freiheit der Person.