Attraktivität ist kein Selbstläufer-städtisches Leben will gepflegt werden

„Die Stadt ist ja wie ausgestorben“, sagte die Hannoveranerin, die mit ihrem Ehemann in Herborn auf Tour war. Es sei doch Samstag-Spätnachmittag und fast alle Cafés und Einzelhandelsgeschäfte hätten geschlossen. Ob das immer so sei, fragte sie die Wirtin der ältesten Herborner Gaststätte, die gerade dabei war ihre Kneipe zu öffnen.

Herborns älteste Gaststätte ist ein städtisches Kleinod, das gepflegt werden will.

„Nein, das war nicht immer so“, meinte die Angesprochene, während sie ihren Gästen ein frisches Bier zapfte. Früher sei die Stadt auch an den Wochenenden belebt gewesen. Einzig der Freitag mit seinem Wochenmarkt bringe Leben in die Stadt. Ein Herborner Gast mischte sich in die Unterhaltung ein. Er glaube, dass sich seine Stadt mittlerweile selbst darin überhole, zu kundenfreundlichen Zeiten die „Bürgersteige hochzuklappen“. Wer nach Feierabend noch einen Kaffee oder ein Schoppen trinken wolle, stehe bei den meisten Gasthäusern und Cafés vor verschlossenen Türen. Von Einkaufen gar nicht erst zu reden.

Er könne zwar verstehen, dass die angespannte Personalsituation die Wirte dazu zwinge, ihre Betriebe nur noch an bestimmten Zeiten offenzuhalten, aber das sei dennoch für das gesamte Stadtbild kontraproduktiv.

Teufelskreis Öffnungszeiten

So wie hier ist die Herborner Fußgängerzone abends nicht belebt.

Das Thema Öffnungszeiten ist heiß und wurde schon immer diskutiert. Jetzt ist es aber so weit, dass ernsthafte Denkmodelle entwickelt werden müssen, wie die unterschiedlichsten Bedürfnisse befriedigt werden können. Es geht immer mehr ums Ganze und da hilft es dem Geschäftsmann nicht, „dass er glaubt es kommt ja niemand mehr, also mache ich zu.“ Der Kunde denkt „ich brauche gar nicht hinzugehen, weil er ja zu hat.“ Ein Teufelskreis, der dem Online-Handel in die Pakete spielt.

Wer keine Industrie mehr will und sich auch nicht darum bemüht, muss andere Wege gehen.

Die Stadt verliere immer mehr ihren einstigen Status eines prosperierenden Industriestandortes, meinte ein anderer. Da müsse man eben mit dem Nimbus einer stolzen Fachwerkstadt wuchern. Alleine die alten Balken vorteilhaft zur Geltung bringen, reiche nicht aus. Die Besucher müssen die Möglichkeit haben, auch zu anderen Zeiten als von 9 bis 18 Uhr shoppen gehen zu können oder sich beim Bier und Kaffee zu treffen.

Um negative Stadtentwicklungen zu beobachten, brauche man nicht allzu weit zu fahren. Politische Parteien, die sich mit aller Kraft für Autofreiheit in der Innenstadt, Gänseblümchen auf Brachstückchen und dem Klimaschutz einsetzen, täten besser daran die Gesamtsituation ihrer Stadt im Blick zu behalten.

Eine Kommune verliert sehr schnell ihre Anziehungskraft, wenn ihr Innenleben vernachlässigt wird. Warum sollen Menschen von weit herkommen, wenn es an attraktiven Angeboten mangelt. Shisha-Bars, Pizzerien, Döner-Buden oder Spielsalons sind sicher für manche Personengruppen schön, aber das Gros der Besucher wird von einer Überzahl dieser einschlägigen Etablissements eher abgeschreckt.

Die „ganz normalen“ Besucher möchten bummeln, in schönen Gaststätten und Cafés verweilen, etwas gutes Essen gehen und natürlich beim Einzelhändler vor Ort händisch einkaufen. Wenn dies dann noch zu Zeiten, nach der allgemeinen Arbeitszeit, möglich ist, spricht man von einer schönen, ihren Bewohnern zugewandten, gemütlichen Stadt.

Lediglich den zunehmenden Online-Handel für Negativ-Entwicklungen verantwortlich zu machen, ist nicht besonders hilfreich. Ideen sind gefragt sowie die permanente Bereitschaft alte Zöpfe abzuschneiden. Unternehmer, die dazu bereit sind, werden auch in der alten Fachwerkstatt an der Dill oft ausgebremst oder verunglimpft. Dazu kommen Bausünden, die nicht wieder gut zu machende Schäden am Stadtbild verursachen.

Das Sicherheitsgefühl leidet

Bürgerinnen und Bürger haben oft nicht ganz unberechtigt Angst, sich bei Dunkelheit in der Stadt zu bewegen. Ihre Sicherheitsbedenken, auch wenn die nur ein Gefühl sind, sollten nicht ignoriert werden. Wer soziale Brennpunkte nicht entschärft, wird Großbrände nur schwerlich löschen können. Die Stadt, respektive das Ordnungsamt, muss Flagge zeigen, das heißt die Präsenz seiner Ordnungskräfte muss erkennbar und dies nicht nur zu den Bürostunden sein. Dazu gehört sicher auch, dass der Standort der Ordnungshüter so gewählt werden muss, dass Fehlleistungen einer bestimmten Klientel bereits im Ansatz ersticken.

Fazit: Fürs Klima ist es bestimmt gut, wenn nicht so viele Menschen in die Stadt kommen. Für den Stadtsäckel, der ohnehin an geringer Füllung krankt, sicher nicht. Industrie abbauen liegt ja bundesweit im Trend, aber damit gehen auch die unterschiedlichsten Einnahmen für die Kommunen verloren. Wer stattdessen den Haushalt mit Einnahmen aus dem Tourismus decken will, muss sich intensiv darum kümmern. Das heißt die Attraktivitäten wie Wildgehege und Co. nicht ebenfalls abbauen, sondern im Gegenteil entsprechend anpassen. Historische Gebäude pflegen und nicht verkommen lassen. Auch ist die „friedliche Koexistenz“ von Fußgängern, Radfahrern und Automobilisten besser als ideologischer Kahlschlag, der immer zu Lasten einzelner Gruppen geht.

„Herborn ist anders“ und das muss die Stadt immer wieder unter Beweis stellen. Stillstand einhergehend mit parteipolitischen Spielchen schaden der Stadt und ihren Bürgern. Daher: „Suche der Stadt Bestes“ und dieser Satz darf nicht zu einem abgedroschenen Spruch bei Festreden verkümmern. Wer wissen will wo in der Stadt und bei ihren Bürgern der Schuh drückt, muss immer wieder hinhören und mit den Menschen reden. sig/Foto: Gerdau

3 Gedanken zu „Attraktivität ist kein Selbstläufer-städtisches Leben will gepflegt werden

  • 26. September 2023 um 9:30 Uhr
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    Die Ansätze sind richtig. Ich wurde auch schon gefragt, wieso man in Herborn um 18.00 Uhr nicht mal mehr einen Kaffee bekommt. Blieb nur noch die Eisdiele. Ich habe den Eindruck, dass Dillenburg und Haiger jetzt Herborn den Rang ablaufen. Was soll der Blödsinn, dass Radfahrer durch die Fußgängerzone fahren dürfen? Einige sind leider oft sehr rücksichtslos. Rote Ampeln werden ignoriert oder es wird einfach über den Bürgersteig weiter gefahren. Rad fahren ist super und gut für die Umwelt und die eigene Gesundheit. Aber bitte im gegenseitigen guten Miteinander.

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  • 27. September 2023 um 15:58 Uhr
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    Die Öffnungsgepflogenheiten sind seit vielen Jahren ein Übel. Unser Geschäft PFEIFFER-HOSEN war das einzige, welches am Samstag bis 16.00h geöffnet hatte. Die Hauptstraße war wie ausgestorben. „Dann kommt ja doch niemand mehr, dann mache ich zu“. Warum soll auch ein Kunde kommen, wenn er vor verschlossener Tür steht? So ist es leider heute noch! Heute kommt ein Paar zu meiner Frau ins Geschäft und hat die Misere bestätigt. Sie wollten die Batterie in der Armbanduhr wechseln lassen. Drei(!) Fachgeschäfte in der Innenstadt hatten geschlossen. Hier sollte man annehmen, es geht vielen doch noch zu gut!

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  • 29. September 2023 um 11:57 Uhr
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    Oh, wie da mein Herz als Innenarchitektin für schlägt… Ich sehe so viel Potential in unserer Region und bin mir manchmal nicht sicher, woran es denn nun scheitert. Fehlen wirklich die mutigen UnternehmerInnen, die auch mal neue Wege einschlagen, mutig investieren und dafür mit Erfolg belohnt werden? Oder ist es heutzutage wirklich unmöglich, gebremst durch Bürokratie und politische Hürden, ein erfolgreiches Geschäft oder Cafe in unserem Städtchen zu führen?

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