Von Siegfried Gerdau
Der graue, von Corona geprägte Jahresanfang 2021, hat mich eine Reise in und durch die französische Provinz gedanklich wiederholen lassen. Im Oktober 2015 waren wir wieder einmal mit unserem Wohnmobil zwischen Aix-en-Provence, Apt und Avignon unterwegs, um uns in der ruhigen Nachsaison aufs Neue mit dem „ Savoir-Vivre“ zu beschäftigen.
Meine Schilderungen drehen sich hauptsächlich um ein Dorf, das im Tal des Cavalon liegt und auf mich schon lange einen unwiderstehlichen Reiz ausübt.
Im Süden Frankreichs, wo die Provence noch ihren ursprünglichen Charakter bewahrt hat, liegt der Ort dessen Name aufhören lässt. Lacoste hat nicht von ungefähr die gleiche Schreibweise wie das Modelabel von Pierre Cardin. Der, im Alter von 98 Jahren am 29. Dezember 2020 verstorbene, Modezar hatte sich in das rund 400-Seelen-Dörfchen mit dem mittelalterlichen Charakter verguckt und dessen Name mit seiner Mode in aller Welt bekannt gemacht.
Lacoste liegt etwa 40 Kilometer Luftlinie südöstlich von Avignon und 60 Kilometer nördlich von Marseille bzw. 40 Kilometer nördlich von Aix-en-Provence und gehört zum Département Vaucluse in der Region „Provence-Alpes-Côte d’Azur“. Die Kreisstadt Apt liegt etwa 12 Kilometer Luftlinie weiter nordöstlich. Lacoste wurde an einem Berghang auf einer Höhe von rund 320 Metern über dem Meeresspiegel am nördlichen Rand des Luberon-Gebirges gebaut. 1627 ging der Ort durch Heirat in den Besitz des Hauses Sade über. In der Nähe befinden sich die bekannten Touristenorte Roussillon und Gordes.
Die den Ort beherrschende Burgruine Lacoste war im 18. Jahrhundert der Wohnsitz des Donatien-Alphonse-François de Sade (Marquis de Sade). Durch Cardins finanziellen Einsatz- er kaufte sie im Mai 2001- ist die Burg heute wieder in einem ansehenswerten Zustand und kann gegen eine Gebühr besichtigt werden.
Er ließ die verfallene Burgruine hauptsächlich deswegen aufbauen, um dort Konzerte und Musikfestivals anbieten zu können, und erwarb eine Reihe weiterer Immobilien im Ort. Cardin wollte den kleinen Ort zu einem „Saint Tropez der Kultur“ machen. Die Einwohner hielten ihm trotz seiner Investitionen von 22 Millionen Euro vor, ein „rücksichtsloser Immobilienhai“ zu sein und wie ein „feudaler Großgrundbesitzer“ aufzutreten.
Wie auch im Nachbarort Gordes, entdeckten ganz unterschiedliche Künstler den Zauber der weitgehend intakten, dörflichen Infrastruktur. So hat sich im historischen Außenbereich der Burg der europäische Sitz des Savannah College of Arts and Design angesiedelt.
Petra und ich entdeckten beim Gang durch die engen, mit schweren Granitsteinen gepflasterten Gassen, den weltbekannten schwedischen Bildhauer Evert Lindfors Jahrgang 1927.
Er saß er auf einer Steinmauer und blinzelte in die strahlende Oktober-Sonne. Ein Fotomotiv ganz nach meinem Geschmack. Wie es sich gehört, sprachen wir ihn an und im Verlauf des Gesprächs lud er uns ein, seine Ateliers zu besuchen.
Wir waren aufgeregt nachdem wir wussten, mit was für einem Künstler wir es zu tun hatten- seine kleinen Terrakotta-Skulpturen werden mittlerweile zu Stückpreisen im fünfstelligen Bereich gehandelt.
In den alten Gewölbekellern, die er zu Ateliers umgebaut hatte, schauten wir uns seine Werke an, darunter auch die Skulpturen aller Einwohner von Lacoste. Viele von denen sind mittlerweile schon verstorben. Er hat sie alle in seinen Werken verewigt.
Es war ein wunderschöner Nachmittag mit dem charismatischen Maler und Bildhauer, der uns immer in Erinnerung bleiben wird. Sein Tod, nur ein Jahr später, machte uns tief betroffen.
Lacoste nur auf Burg, Ortskern sowie seine Sehenswürdigkeiten festzumachen, ist allerdings profan. Weit reicht der Blick über das Tal zu dem malerischen Bonnieux. Ganz in dessen Nähe lockt Europas größter Zedernwald, der „Forêt des Cèdres“ im Petit Luberon. Ab Mitte des 19. Jhd. begann ein idealistischer französischer Förster mit der erfolgreichen Anpflanzung nordafrikanischer Atlas-Zedern, um der Bodenerosion und Austrocknung entgegenzuwirken. Wenn man unter den majestätischen Bäumen heute wandelt, kann man sich kaum vorstellen, dass es einmal Pflänzchen waren.
Nahe des alten Künstlerdorfs Gordes (eines der schönsten Dörfer Frankreichs) muss man die „Village des Bories“ besucht haben. Die kleine Ansammlung von Steinhäusern ist nicht nur für Fotografen ein Magnet. Und wer hingegen die malerischen Provence-Wochenmärkte liebt, sollte an Apt nicht vorbeifahren. Dort findet dienstags der Bauernmarkt und samstags einer der bekanntesten Wochenmärkte, ebenfalls vormittags, statt. Die besondere Atmosphäre und Vielfalt der Produkte haben ihn zum „Marché d’exception“ gemacht – zu einem ganz besonderen Markt, auf dem es nicht nur die legendären kandierten Früchte zu kaufen gibt.
Anreise: Die einfachste Anreise geht über Luxemburg Metz und Lyon. Die etwas mehr als 1000 Kilometer lange Strecke ist außer der Zeit zwischen 14. Juli bis Mitte August problemlos auch per Nationalstraßen zu fahren. Momentan gehen allerdings die Uhren in Frankreich wegen der Corona-Pandemie auch etwas anders.
Fotos: Gerdau