Forensik in Not-Psychiatrien überfüllt

Von Siegfried Gerdau

Eine Rentnerin fährt mit ihrem kleinen, alten Auto zum Briefkasten in der Nähe einer Psychiatrie und will gerade aussteigen. Plötzlich tauch ein Mann mit einem dicken Stein in der Hand vor dem Auto auf und traktiert die Windschutzscheibe solange bis die total zerdeppert ist. Die Rentnerin vor Schreck wie gelähmt, steigt aus und fragt den Mann voller Entsetzen „Was machen sie denn da?“ Der ruft nur „Polizei“ und sie sagt ihm, dass dies genau ihre Absicht sei. Die Ordnungshüter treffen ein und „diagnostizieren“ vor Ort eine psychische Störung bei dem Mann. Die Folge, er wird in der nahen Einrichtung abgeliefert. Die Frau bleibt Übrigens auf ihrem Schaden sitzen. Täglich hört man von Vorfällen dieser oder ähnlicher Art und fast immer den Satz, „der oder die Täter wurden wegen Verdacht auf psychische Störungen in eine Psychiatrie eingeliefert.“

Dem unbeteiligten und unbedarften Bürger drängt sich der Verdacht auf, dass es fast nur noch Täter mit psychischen Störungen gibt und die Gefängnisse demzufolge eigentlich leer stehen müssten.    

Nun schlägt auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger Psychiatrischer Krankenhäuser (BAG Psychiatrie) Alarm:

„Die anhaltende und weiter steigende Überbelegung der Maßregelvollzugskliniken belastet Patienten und Mitarbeiter gleichermaßen“, erklärt der BAG-Psychiatrie-Vorsitzende Reinhard Belling und ergänzt: „Dadurch droht die Behandlungsqualität zu sinken. Und das wird zu höheren Kosten führen“.

Reinhard Belling

Der Maßregelvollzug ist die freiheitsentziehende Unterbringung von psychisch kranken oder suchtkranken Straftätern nach dem deutschen Strafgesetzbuch (StGB). Psychisch kranke Straftäter werden nach § 63 StGB unter bestimmten Umständen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, suchtkranke Straftäter nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt. Die forensische Psychiatrie ist für die Begutachtung der Straftäter und die Umsetzung des Maßregelvollzugs zuständig.

Der Maßregelvollzug ist vom Strafvollzug und von der Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter nach § 66 StGB zu unterscheiden, die in Justizvollzugsanstalten stattfinden. Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung betreffen zwar auch die Sicherungsverwahrung, diese dient jedoch ausschließlich dem Schutz der Öffentlichkeit. Quelle: WIKIPEDIA

Die Zahl der Anordnungen gemäß § 63 StGB und der einstweiligen Anordnungen gemäß § 126a StPO sind während der letzten Jahre wieder deutlich gestiegen. Und das stellt die Maßregelvollzugskliniken bundesweit vor massive Probleme.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger Psychiatrischer Krankenhäuser (BAG Psychiatrie) sieht bei der Belegungs- und Kapazitätssituation aller Maßregelvollzugseinrichtungen dringenden Handlungsbedarf. Den hat sie an die Ministerien der Gesundheits- und Justizressorts des Bundes und der Länder herangetragen. Denn in fast allen Bundesländern steigen die Anordnungen gemäß § 64 StGB (Strafgesetzbuch) dramatisch. Die Anordnungszahlen gemäß 63 StGB steigen deutlich. Die meisten Kliniken für forensische Psychiatrie sind überbelegt, zum Teil dramatisch überbelegt.

Die Forderung an den Gesetzgeber:

Um diesen Trend zu stoppen, fordert die BAG Psychiatrie die Bildung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe. Diese soll geeignete Maßnahmen entwickeln, um der aufgezeigten Entwicklung entgegenzuwirken.

Insbesondere der derzeit noch gesetzlich verankerte Fehlanreiz bedarf dringend einer gesetzlichen Korrektur. Die Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB darf nicht länger attraktiver sein als ein Aufenthalt im Justizvollzug, wie es derzeit unter bestimmten Bedingungen noch der Fall ist. Die BAG Psychiatrie fordert weiter eine gesetzlich verpflichtende vollständige Erhebung einheitlicher Kennzahlen für den Maßregelvollzug.

Schwierige Fachkräftegewinnung

Um neue Maßregelvollzugskapazitäten zu schaffen, braucht es in der Regel einen längeren zeitlichen Vorlauf. Vor allem muss zur Inbetriebnahme neuer Einrichtungen qualifiziertes Personal für die Arbeit im Maßregelvollzug gewonnen werden. Dies ist wegen des anhaltenden und zunehmenden Fachkräftemangels für alle Kliniken eine große Herausforderung.

Hintergrundinformationen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer Fachkrankenhäuser (BAG Psychiatrie) ist bundesweit der größte Zusammenschluss zur Vertretung der Träger von Akutversorgungskliniken für psychische, psychosomatische und neuropsychiatrische Erkrankungen. Sie bildet das gesamte Trägerspektrum der Bundesrepublik Deutschland ab. Denn sie vertritt kommunale, freigemeinnützige, kirchliche, private und staatliche Träger.

Mit 65.000 Betten und tagesklinischen Plätzen repräsentiert sie rund zwei Drittel der gesamten stationären und teilstationären klinischen Versorgungskapazitäten für psychische, psychosomatische und neuropsychiatrische Erkrankungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Viele der in der BAG organisierten Träger betreiben forensisch-psychiatrische Betten. In den Kliniken für forensische Psychiatrie behandeln sie zurzeit 12.500 Maßregelvollzugspatient/-innen.

Quelle: BAG Psychiatrie)

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