Herborn bewegt sich

Kommentar von Siegfried Gerdau

An allen Ecken und Enden wird in der schönen Fachwerkstadt gebaut, was das Zeug hält. Wir brauchen Wohnraum, ist von offiziellen Stellen zu vernehmen und das ist richtig. Bezahlbaren Wohnraum vor allem und der ist trotz der anhaltenden Bauwut immer noch Mangelware. Für die Besserverdiener, mit monatlichen Einkommen über 8 000 Euro sind läppische 1 300 Euro Miete ein Klacks. Für den normalen Bürger, die Friseurin, den gewerblichen Mitarbeiter oder die Servicekraft in der Gastronomie hingegen Utopie.

Jetzt steht gerade ein neues Wohnprojekt im Raum. Das Herborner Hinterthal ist bereits seit Beginn des vergangenen Jahres in den Focus von Investoren gerückt. Abgesehen von der Genossenschaft für Bau- & Siedlungswesen Herborn eG (GBS), die sich in ihren Statuten „Versorgung mit Wohnraum zu fairen Preisen“ auf die Fahnen geschrieben hat, tummeln sich auch Gewinnmaximierer auf dem Markt für Betongold. Während die GBS an Stelle des ehemaligen bedra-Geländes drei Wohngebäude mit jeweils 20 Wohnungen errichten will, sollen ein paar Meter weiter 15 sechsstöckige Blöcke mit insgesamt 330 Wohnungen plus 60 bis 70 Boarding-House- Wohnungen entstehen. Schwer vorstellbar, wenn dort bis zu 30 Meter hohe Wohnklötze entstehen, die noch über das Niveau der benachbarten Westerwaldstraße ragen.

Archivbild Herborn. Links hinten steht noch bedra und der alte REWE/Toom-Markt. Foto: Gerdau

Dazu ist bei Wikipedia zu lesen:

Der Begriff Boardinghouse (von engl. boarding = Verpflegung/Beköstigung, house = Haus) oder Serviced Apartment bezeichnet einen Beherbergungsbetrieb, welcher Zimmer oder Apartments mit hotelähnlichen Leistungen in meist städtischer Umgebung vermietet. Im Gegensatz zu einer Pension oder einem Hotel ist in einem Boardinghouse ein längerer Aufenthalt geplant. Daher wird im deutschen Sprachraum auch die Bezeichnung „Zuhause auf Zeit“ genutzt. Die Zimmer und Wohnungen in einem Boardinghouse werden vor allem von Firmen genutzt, die über längere Zeit Mitarbeiter für bestimmte Projekte in andere Städte entsenden. Deren Unterbringung in einem Boardinghouse ist wesentlich günstiger als in einem Hotel. Eine Alternative auf einfacherem Niveau bieten auch Monteurzimmer.

Der Investor, die HELM Wohnpark Herborn GmbH & Co. KG mit Sitz in Aßlar will angrenzend an die Wohnblöcke ein Parkhaus errichten, um die dann entstehende Nachfrage nach Parkraum zu befriedigen. Die Zufahrt zu dem Wohnkomplex soll über die Westerwaldstraße, über besagtes Parkhaus erfolgen.

So weit so gut oder schlecht. Die Stadt Herborn entledigt sich auf jeden Fall ihrer letzten Möglichkeit für eine repräsentative Stadthalle. Sie befindet sich damit in bester Gesellschaft mit den Nachbarkommunen Dillenburg und Sinn, die ebenfalls auf eine solch kulturelle Einrichtung verzichten müssen. Wenn die Konferenzhalle am Herborner Haus des Lebens einer geplanten Erweiterung des Seniorenheims weichen muss, ist weitgehend „Ende Gelände“. Der Vitos-Festsaal war bisher noch der letzte Rettungsanker für größere Veranstaltungen in der Stadt, aber auch sicher nicht die perfekte und immer verfügbare Ultima Ratio.

Jetzt soll sich im Hinterthal an Stelle des ehemaligen Toom-Marktes ein „Pertuis-Platz II“ entwickeln, aber die Mitglieder des Herborner Bauausschusses unter dem Vorsitz von Lukas Winkler im Beisein des 1. Stadtrates Claus Krimmel vernahmen erstmals am Mittwoch konkretes oder besser weniger Konkretes zu den geplanten Maßnahmen. Sie lehnten denn auch eine definitive Aussage mit Abstimmung zu dem Projekt ab und wollen sich doch lieber einmal ein Bild vor Ort machen.

Wie schon gesagt, die Stadt braucht bezahlbaren Wohnraum und das sicher nicht um jeden Preis. Schon einmal standen die Entscheider vor einer ähnlichen Situation. Daraus entwickelte sich eine immer noch unansehnliche Hochhausburg-Bebauung auf dem Schießberg. Viele Kommunalpolitiker sagten später, „das würden wir so nicht wieder machen.“

Auch die Bebauung des Pertuis-Platzes ist eine ähnliche Bausünde in der Mitte der Stadt und egal wen man heute fragt, es will niemand dafür gewesen sein. Wenn die Baugruben erst einmal ausgehoben sind, ist der Käse gegessen, wie der Volksmund sagt.

Ob die Wohnblocks auf dem ehemaligen Gutshof-Gelände auch wirklich dorthin passen, hinterfragte ebenfalls niemand. Jetzt stehen sie da- Herborn braucht Wohnraum- und bieten sich für knapp 1 000 Euro Wohnungs-Kaltmiete an.

Die Volksbank hat ihren Gebäude-Block direkt gegenüber der Tiefgarageneinfahrt des Dill-Center stehen. Schön ist auch hier etwas anderes. Es hat ein wenig Plattenbau-Charakter. Aber, Herborn braucht Wohnungen, auch wenn die Penthouse-Preise in Richtung der 1-Millionen Grenze ziehen.

Die Herborner Geschäftswelt und die Gastronomie dürfte der Zuzug vieler finanzpotenter Menschen in die Stadt freuen. Mich freut es auch, wenn unsere schöne Kommune prosperiert. Aber bitte immer mit dem Blick für das Ganze. Die Menschen ziehen nicht zuletzt wegen des schönen Ambientes an die Dill. Sicher aber nicht wegen der „vielen“ Arbeitsplätze. Die werden nämlich immer weniger und wenn sich Herborn peu à peu zu einer Kaffeehausstadt entwickelt, ist das eine wunderschöne, idyllische Angelegenheit, aber es fehlen dann irgendwann die Gewerbesteuereinnahmen.

Auch am Kornmarkt bewegt sich etwas. Schon seit Jahrzehnten spricht man davon den Schmalen Weg für den Durchgangsverkehr zu sperren und den Kornmarkt ebenso. Jetzt sollen auf dem Kornmarkt erst einmal nur an Wochenenden die parkenden PKW verschwinden und den Gastronomen mehr Raum für die Außenbewirtschaftung verschafft werden. Gut so, aber: Auch hier muss man mit sehr viel Gefühl vorgehen. Wie man eine Stadt weitgehend autofrei und damit tot machen kann, lässt sich leicht ein paar Kilometer weiter beobachten. Man kann natürlich auf das Fahrrad als Fortbewegungsmittel verweisen, aber dann hat man auch die Stadtteilbevölkerung von Schönbach oder beispielsweise Hirschberg ausgegrenzt. Ebenfalls die Dillenburger, Siegener oder die Menschen aus dem Hinterland, werden kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur des Kaffees wegen in die Bärenstadt kommen.

Zum Schluss noch ein paar Worte mehr zur Parksituation in Herborn. Das Parkhaus am Hintersand will, so wie man vernehmen kann, niemand haben. Wer parken möchte oder muss soll in die Littau fahren. Dort gibt es aber gar nicht so viel Parkplätze, wie immer behauptet wird. Dann bitte schön der Schießplatz. Das nächtliche Testgelände für testosterongesteuerte Jugendliche ist aber an Werktagen mit den PKW der in der Stadt Beschäftigten schon per se gut gefüllt. Dort passte auch ein Parkhaus gut ins Bild. Es wird also eng mit den Plätzen für die ungeliebten CO2-Produzenten. Die Situation bessert sich auch nicht, indem man mehr Knöllchen verteilt. Übrigens, der Wohnmobil-Stellplatz auf dem Schießplatz ist eine Schande. In allen einschlägigen Führern wird er total abgewertet und das zu Recht.

Das soll auch so bleiben. Archiv-Foto: Gerdau

Augenmaß ist auch hier gefragt. Auf keinen Fall sollte man hinnehmen, dass Einkaufswillige die Stadt meiden, weil das Katzenstreu einfach zu schwer ist, um es hunderte von Metern weit zu schleppen.    

Ein Gedanke zu „Herborn bewegt sich

  • 15. Juni 2021 um 16:49 Uhr
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    30 % Anteil sozialer Wohnungsbau, und allen ist geholfen, ähnlich wie in Berlin. Außer Politikern, Bürgerinnen u Bürger, selbsternannten Stadtplanern, sollte wie im Gestaltungsbeirat auch ausgebildete Fachleute gehört werden. Man stelle sich vor es würde heute jemand einen Bauantrag für ein fünfstöckiges Haus am Marktplatz einreichen, ein Aufschrei ging durchs Volk, im Mittelalter ging das……

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