Stellungnahme einer Lehrerin zum Artikel „Homeschooling unzureichend umgesetzt“ vom 21.01.2021

Hallo Siggi, schreibt Julia (Anm.Red.)

ich verfolge deinen Blog regelmäßig und habe auch den Artikel (Brief) zu Home-Schooling gelesen. Die Sicht der Mutter und auch des Schülers ist verständlich. In meinem Freundeskreis habe ich allerdings einige Lehrerinnen und kenne auch deren Sicht auf die Dinge. Ich bekomme aktuell mit, wie herausfordernd die Situation ist, wie viel Arbeit, Telefonate, Mails, Konferenzen und Logistik rund um den eigentlichen Unterricht betrieben wird und dass sich fast täglich irgendetwas für die Lehrer:innen ändert. Daher habe ich die Lehrerin, die ich kenne, gebeten, ihre Sicht der Dinge aufzuschreiben und darzustellen. Gerne kannst du ihren Brief, ebenfalls anonym, posten.

Stellungnahme einer Lehrerin (Anm.Red.)

Liebe anonyme Mutter aus dem LDK,

Homeschooling ist für alle Beteiligte: Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen eine große Herausforderung. Es ist klar, dass es nur funktionieren kann, wenn alle drei zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. Im Folgenden antworte ich auf Ihre Fragen und Anklagepunkte:

Warum man nicht alles per VK machen kann:

Viele Schüler:innen sind technisch sehr schlecht ausgestattet, fliegen ständig aus den Videokonferenzen heraus, hören nichts – und auf diese Weise sollen sie dann sechs Stunden Unterricht verfolgen? Auf die zukünftigen (Wissens-) Lücken freue ich mich dann natürlich besonders („Sorry, ich kann die Frage nicht beantworten, während Sie die Binomischen Formeln erklärt haben, hatten wir gerade Netzprobleme!“) und die mit Sicherheit folgende Elternschelte, man ziehe rücksichtslos den Unterrichtsstoff durch ohne (technisch/netzlose/finanziell/motorisch/sinngeschädigt) benachteiligte Schüler zu berücksichtigen.

Man darf daneben auch nicht vergessen: Manche Familien haben nur einen PC. Welches der drei Kinder hat nun das Privileg, den live-online-Unterricht – wahrscheinlich mit technischen Aussetzern – zu verfolgen?

Zoom find ich total klasse, kostet aber für mehr als 30 (+10) Min echt Geld (jetzt ziehen wir mal ein paar Minuten Unterrichtszeit ab, 45min werden definitiv überbewertet!)  – wer bezahlt die Lizenz? (Von den eigenen Kosten für meine technischen Dienstgeräte erzähle ich jetzt erstmal nichts). Leider beachtet der US-Konzern die Datenschutzbestimmungen mal so grad gar nicht – ist ja kein Drama, wenn die ganze US-Welt erfährt, wie doof sich doch das eigene Kind in Deutsch, Mathe oder Bio anstellt – und das für immer abgespeichert auf irgendeinem Server.

Zusätzlich nutzen einige Schüler:innen das Angebot früh angesetzter Videokonferenz leider nicht – mit der Begründung, sie würden doch mindestens bis 10 Uhr schlafen oder sie loggen sich nur „blind und stumm“ in die Konferenz ein und schlafen dann weiter.

Abgegebene Aufgaben:

Leider korrigiere ich alle abgegeben Aufgaben der SuS und es ist viel Arbeit pro Tag 60-150 schlecht abfotografierte, hingeschmierte, mit Rechtschreibfehlern triefende Werke zu korrigieren.

Im Präsenzunterricht hetzt man zwischen zwei Klassenräumen hin und her und ist nie wirklich in einer Klasse. Das „Diensthandy“ (ALDI-Talk sei Dank!) ist dabei immer angeschaltet, muss man doch für die restlichen Schüler:innen im Homeschooling für Fragen und Unklarheiten verfügbar sein. Nebenbei halten sich die Abschlussklassen kaum an die Hygiene-Vorschriften, wenn keine Lehrkraft in der Nähe ist. Kein Problem. Wenn Corona in der Klasse ausbricht, wir können weitermachen, der Rest geht in Quarantäne. Ein Hoch auf die FFP2-Maske!

Die meisten Kollegen von uns arbeiten das Wochenende durch, da das Pensum unter der Woche aktuell nicht zu schaffen ist. Klar, es gibt viele schwarze Schafe. Das stimmt und die gibt es leider überall. Man hätte sich in der (Schul-) Politik mehr kümmern können, aber die Situation ist nicht änderbar und wir müssen alle zusammen und gemeinsam das Beste aus der Situation machen.

Mit freundlichen Grüßen

Hinzufügen möchte ich noch eine kleine Anmerkung aus IT-Sicht. Auch in Unternehmen hat man mit den Herausforderungen der Corona-Situation zu kämpfen (Home-Office, Videomeetings, IT-Infrastruktur usw.). Hier gibt es glücklicherweise oft eine Abteilung, die sich darum kümmern kann. In der Schule ist das anders. Für die IT wird meist eine einzige Lehrkraft auserwählt, die IT-affin ist und sich neben ihrem Job um Netzwerk, Laptops & Co. kümmern muss. Zudem setzt man bislang bei Lehrer:innen selbstverständlich voraus, dass sie ihre Privatgeräte (Laptops, Tablets, Smartphones) einsetzen und für Eltern und Schüler – rund um die Uhr – verfügbar sind. In einem (gesunden) Unternehmen undenkbar!

Die Corona-Situation zeigt, wie unter einer Lupe, auf, was in den letzten Jahren verschlafen und verpasst wurde. Nun bleibt nichts anderes übrig als das Beste, gemeinsam, aus der Sache zu machen und dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten einigermaßen unbeschadet herauskommen.

Liebe Grüße

Julia

2 Gedanken zu „Stellungnahme einer Lehrerin zum Artikel „Homeschooling unzureichend umgesetzt“ vom 21.01.2021

  • 26. Januar 2021 um 13:23 Uhr
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    ….leider muss ich dieser Lehrerin beipflichten. Ich habe mit anderen Eltern den Förderkreis in der Herborner Commenius Schule mit gegründet.
    Und ich weiß, wie sich das Land anstellt wenn es um Neuerungen in den Schulen geht.
    Damals haben wir schon von Homeschooling und aktiven Computer unterstützenden Schulunterricht geträumt.
    Und einiges dafür in Form von Geld und Arbeitsstunden investiert. Und da beziehe ich die damaligen Lehrkräfte an der Schule mit ein.

    Aber die Politik, dass Land und all die Besserwisser in Weilburg der damaligen Zeit …hatten Angst !
    Eltern und Lehrer vor Ort hatten mehr Weitsicht wie die „Gelehrten“ und „klugen“ Leitfiguren unseres Schulsystems. Das zum kotzen ist….
    Es wird nicht gelehrt …es wird verwaltet. Und die Lehrer( innen) in dem Klassen werden “ verheizt“ !

    Ich weiß es sind zum Teil derbe Worte ..aber genau so ist es !!

    Leider über 20 Jahre nachdem wir Eltern damals den Förderverein gegründet haben ….hat sich nichts geändert und ich muss der Lehrerin mit ihren Aussagen Recht geben.

    Manchmal ist eine Krise auch für etwas gut …

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  • 26. Januar 2021 um 15:51 Uhr
    Permalink

    Welch wahre Worte einer Kollegin! Dem kann ich nur zustimmen.

    Antwort

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