Neujahrsempfang und deutliche Worte
Oberst Wüstner, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) zeigte großes Verständnis dafür, dass die Verbündeten an der Nordost-Flanke des Bündnisgebiets (Baltische Staaten d.Red) es gerne sähen, wenn nicht nur eine „normale“ Nato-Brigade, sondern eine Brigade + ihre Sicherheit unterstützen würde.
Der Heeresoffizier ist seit 2013 Vorsitzender des Deutschen Bundeswehr Verband, der eine überparteiliche und finanziell unabhängige Institution ist. Er vertritt in allen Fragen des Dienst-, Sozial- und Versorgungsrechts die Interessen seiner rund 200.000 Mitglieder – aktive Soldaten, Reservisten, Ehemalige und Hinterbliebene, zivile Angehörige der Bundeswehr sowie fördernde Mitglieder.
Anlässlich des Neujahrsempfangs des Sanitätsregiments 2 „Westerwald“ in der Renneroder Stadthalle konnte er als kompetenter Redner von Regimentskommandeur Oberstarzt Dr. Sven Funke gewonnen werden. Für den Oberst war der Besuch in Rennerod ein Heimspiel. Er wohnt mit seiner Familie in Montabauer.
Wüstner betonte, dass das Kanzlerwort von der Zeitenwende aufzeige, dass die Dinge nicht mehr so sein werden, wie sie einmal waren. Da helfe auch kein Verdrängungsmechanismus, sowohl energiepolitisch, wirtschaftlich als auch Verteidigungspolitisch. „Wir müssen wieder lernen in Sicherheit zu investieren.“
Die Geschehnisse seit einem Jahr in der Ukraine, die sich bereits seit der russischen Annexion der Krim abzeichneten, hätten damals im Deutschen Parlament nach dem Motto „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“, wenig Wirkung gezeigt, sagte Wüstner.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sähe man Bilder im Fernsehen, die älteren Kameraden zumindest noch aus deren Ausbildung bekannt seien. Handbücher über kriegsnahe Ausbildung wurden „entschärft“, da sie zu martialisch seien.
Nun sei es so, dass man wieder von Kriegstauglichkeit oder von glaubhafter Abschreckung spricht und Sätze wie „kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“ zum militärischen Alltag gehören. Es sei richtig, dass man in der Bundeswehr und der Politik wieder refokussiere: „Was wir einmal konnten ist mit Teilen verloren gegangen und das gilt es wieder aufzubauen.“ Oberst Wüstner lobte die Worte des Bundeskanzlers, als der im Februar des vergangenen Jahres über die Wehrhaftigkeit und die Fähigkeit zur Abschreckung sprach. Dabei sei es neben den militärischen Fähigkeiten auch um die zivile Verteidigung, egal für welche Szenarien, gegangen.
„Wir haben seit 2014 unsere Verbündete enttäuscht und müssen besonders in Krisenzeiten wie derzeit dringend unsere Glaubwürdigkeit wiederherstellen.“ Dazu gehört auch die zugesagte Erhöhung der Verteidigungsausgaben, betonte Oberst Wüstner. Es sei klar, dass die zugesagten 100 Milliarden für die Verteidigung nicht reichen , sondern man müsse sich darauf einstellen in den kommenden 10 Jahren fast 300 Milliarden auszugeben. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Munition und das Kriegsgerät, das von der Bundeswehr an die ukrainische Armee abgegeben werde, ersetzt werden müsse.
Wüstner lobte den „jungen“ Vereidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der obwohl erst kurze Zeit im Amt den richtigen Ton treffe und besonders in dieser schwierigen Zeit die notwendigen Dinge abarbeite.
Er sprach davon dass die Beschaffung der Ausrüstung in der Bundeswehr nicht mehr so funktionieren könne, wie in den vergangenen 30 Jahren und machte deutlich, dass hier viel schnellere und kürzere Wege zur Rüstungsindustrie beschritten werden müssen.
Die Beschaffung hänge eben nicht nur an Koblenz (er meinte das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung) sondern auch an parlamentarisch gestrafften Abläufe. Es sei falsch, wenn es um Materialbeschaffung gehe, immer nur die Bundeswehr zu erwähnen. Es sei in erster Linie eine Sache der Regierungskoalition und der zuständigen Ministerien. „Alle müssen ihren Beitrag dazu liefern, dass es schneller geht“, sagte der Oberst und wies daraufhin, dass man eben nicht mehr zwei Jahre für solche Abläufe habe. Die Kameralistik ließe es derzeit eben nicht zu, dass man die abgegeben 18 Leoparden einfach nur zu ersetzen brauche. „Ich bin daher froh, dass der neue Verteidigungsminister Druck macht und deutlich sagt, dass man mit der Beschaffung nicht erst im zweiten Quartal beginnen könne. Er hoffe, dass es Pistorius gelinge, das Kabinett von einer erheblichen Beschleunigung zu überzeugen. Ganz offen sagte Wüstner auch, dass die Panzertruppe gerade einmal über 30 Prozent ihres ursprünglichen Bestands verfüge. Dies habe erhebliche Auswirkung auf die Soldatinnen und Soldaten, denen einfach ihre Panzer zur Ausbildung fehlten. Fatal sei darüber hinaus, dass die ukrainische Armee monatlich so viel Munition verschieße, wie die europäische Industrie gerade einmal im gesamten Jahr liefern könne. In aller Deutlichkeit machte er klar, dass man in der Bundesrepublik industrielle Kapazitäten in Form von neuen Fabriken schaffen müsse, um dem gerecht zu werden. Das alles muß verstanden werden und dass man eben nicht 11 Jahre Zeit habe, dies zu verwirklichen.
„Putin hat sein gesamtes Land auf Kriegswirtschaft eingerichtet und er kauft ein. Das kann er und Russland ist wirtschaftlich dazu in der Lage, weil die Standards in dem Land ganz anders als bei uns sind.“ Putin stelle seine Gesellschaft auf längere System-Konflikte mit dem Westen ein, meinte der bestens informierte Vorsitzende. Es genüge nicht nur die Ukraine zu unterstützen, weil man eben nicht wisse wie und wann er seine weiteren Ziele, die Destabilisierung Europas, verfolgen werde. „Dies bedeutet für uns, dass Abschreckung wichtiger denn je ist.“ Der Gegenüber müsse erkennen, dass hier ist eine Linie ist, die zu überschreiten für ihn mit großen Risiken verbunden sei.
Er hoffe dass dies alle Verantwortlichen, auch in Berlin, verstünden und nicht wie zwei Jahre nach 2014 wieder in den Modus fallen, „na ja, es wird schon irgendwie gut gehen.“
Es sei eben nicht davon auszugehen, dass Putin sich „verschießt“. Er hat eine andere Industrie als wir in Deutschland. „Kein Mensch weiß, wie das in der Ukraine ausgeht“ sagte Wüstner. Er verstehe, dass Politik sagt, „natürlich unterstützen wir die Ukraine so lange, bis Putin diesen Krieg verloren hat.“ Kein Mensch wisse jedoch wann und ob das passiert, warnte der Oberst. Auch wenn es durch Verhandlungen zum „Einfrieren“ käme, wisse man nicht was Putin daraus mache. Er wird solche Pausen nützen, um wieder aufzurüsten. Das alles bleibe für die westlichen Gesellschaften eine große Herausforderung. „Wir brauchen einen langen Atem und das kostet Deutschland auch viel Geld.“ Dennoch, „wir müssen wieder viel mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen.“
Die Rede kam wohl bei den meisten der Zuhörer sehr gut an und die waren dankbar für die deutlichen Worte des Bundeswehrverbands-Vorsitzenden. Man hätte während des Vortrages eine Stecknadel hätte fallen hören können. sig/Fotos: Gerdau