In 4400 Gemeinden droht Lokalzeitungen das Aus
Dieser „Netz-Fund“ hat mich dazu bewogen, zu einem Thema Stellung zu nehmen, welches mir persönlich aus den unterschiedlichsten Gründen am Herzen liegt. Nachfolgend gebe ich das wieder, was Christian Erhardt zum Thema Lokal- und Tageszeitung zu Papier gebracht hat. Was mich besonders freut, ist die Tatsache, dass einige Facebook-User in ihren Kommentaren sehr konkret dazu Stellung bezogen haben.
VON CHRISTIAN ERHARDT
Chefredakteur | KOMMUNAL
9. JUNI 2020
Die Lokalzeitung vor Ort ist auch für Kommunalpolitiker und Rathäuser häufig neben dem Amtsblatt die einzige Möglichkeit, sich und seine Kommunalpolitik vor Ort zu erklären. Eine neue Studie sagt nun, dass die Lokalzeitungen in 40 Prozent aller Kommunen in Deutschland schon in fünf Jahren nicht mehr wirtschaftlich sein werden. In 4400 Gemeinden droht somit das Sterben der Lokalzeitungen. Welche Auswirkungen das hätte, zeigen verschiedene Studien.
Die Lokalzeitungen in Deutschland geraten seit wenigen Jahren in eine enorme Schieflage. Waren im Jahr 2014 noch in allen 11.000 deutschen Gemeinden Lokalzeitungen betriebswirtschaftlich zustellbar, ist dies heute schon in 720 Gemeinden nicht mehr der Fall. Laut Studie des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) können in diesen Gemeinden die Verlagshäuser die Bürger nicht mehr zu betriebswirtschaftlich sinnvollen Konditionen mit Abos beliefern. Und die Prognose für die Lokalzeitungen sieht düster aus: Bis zum Jahr 2020 soll der Versorgungsengpass 4400 Kommunen betreffen – also rund 40 Prozent aller Städte und Gemeinden in Deutschland.
Warum kommt die Lokalzeitung nicht einfach digital daher?
Viele Verlagshäuser bemühen sich bereits, digitale Angebote vorzuhalten. Hier tun sich laut Zeitungsverlegerverband aber zwei Probleme auf. Erstens: Durch die gleichzeitig sinkende Zahl der Abonnenten ist auch dieses Modell oft nicht wirtschaftlich. Denn immer mehr Leser weichen auf kostenfreie Angebote im Netz aus, verzichten im Zweifel auf eine lokale Berichterstattung. Zudem rechnet der Verband vor, dass es mit Blick auf digitale Bezahlangebote eine Übergangslücke von mindestens fünf Jahren gibt. Das bedeutete, frühestens fünf Jahre nach der Umstellung auf „digital“ greife das Geschäftsmodell. Eine Zeit, die viele Verlage nicht überstehen würden, so der Verband.
Zweites Problem: Vor allem Ältere Leser sind nicht bereit und in der Lage, von der gedruckten auf die digitale Version umzustellen. Das laufe schon deshalb ins Leere, weil es bis heute in Deutschland vielerorts „an der notwendigen Netzabdeckung mangele“, so ein Sprecher.
Der Verband fordert deshalb eine Förderung bei den Zustellkosten. Diese belaufen sich deutschlandweit pro Jahr auf fast 1,4 Milliarden Euro – Tendenz stark steigend. Hier waren die Kosten mit der Einführung des Mindestlohns bereits deutlich gestiegen. In den nächsten fünf Jahren dürften die Zustellkosten auf rund 1,8 Milliarden Euro steigen. Im Gegenzug sinken die Werbeeinnahmen der Verlage seit Jahren. Die Coronakrise habe die Situation nun noch drastisch verschärft. Die Kosten für das Austragen einer Lokalzeitung belaufen sich im Moment auf durchschnittlich gut 45 Cent. Der Bund hat bereits eine Förderung bei der Zustellung beschlossen.- knapp ein Cent pro ausgetragenem Zeitungsexemplar. Das reiche jedoch nicht – der Verband verweist auf die Förderung der Computer- und Filmindustrie, in dem Bereich sei die Förderung 22 Mal so hoch, wie es für die Unterstützung der Zeitungszustellung vorgesehen sei.
Studien weisen Zusammenhang zwischen Sterben der Lokalzeitungen und Bedrohung der Demokratie nach
Inzwischen gibt es mehrere anerkannte Studien, die einen klaren Zusammenhang zwischen dem Sterben der Lokalzeitung vor Ort und der Wahlbeteiligung vor Ort sehen. KOMMUNAL hatte in einem Leitartikel bereits vor über einem Jahr ausführlich eine Studie aus der Schweiz zu dem Thema vorgestellt. Den Beitrag können Sie HIER noch einmal in Ruhe lesen.
Schon etwas älter, aber nicht weniger aktuell und dramatisch ist eine empirische Studie aus den USA. Zwei Forschern war es dort gelungen, einen klaren Zusammenhang zwischen dem Zeitungssterben und dem politischen Leben in einer Region herzustellen. Die Princeton-Wissenschaftler untersuchten dazu ein Gebiet im US-Bundesstaat Kentucky.
In der Region wurde im Jahr 2007 die Tageszeitung „Cincinatti Post“ eingestellt. somit gab es in der Region ab dem Zeitpunkt nur noch eine Tageszeitung, nämlich den „Cincinnati Enquier“. Die Forscher stellten fest, dass diese sich mit einigen Orten des Veröffentlichungsgebietes weniger stark beschäftigte, als zuvor die „Post“. In genau diesen Orten ging die Wahlbeteiligung in den darauffolgenden Jahren spürbar zurück, in den anderen Orten bei weitem nicht so stark. Die Ergebnisse wurden Jahre später durch eine Langzeituntersuchung durch Wissenschaftler aus Havard und Chicago ebenfalls bestätigt. Die Wahlbeteiligung sank auch langfristig deutlich.
Auch Politikwissenschaftler im deutschsprachigen Raum weisen Zusammenhang zwischen Lokalzeitungen und Wahlbeteiligung nach
Der Politikwissenschaftler Daniel Kübler von der Universität Zürich hat im vergangenen Jahr eine ähnliche Studie in der Schweiz durchgeführt. Die Uni hat gut 400 Gemeinden in der Schweiz untersucht. und die dortige Kongruenz des lokalen Zeitungsmarktes untersucht. Das heißt, inwiefern der Markt der Lokalzeitungen einem Raum entspricht, etwa einer oder mehrerer Wahlgemeinden. Im Interview mit dem Fachmagazin Drehscheibe beschreibt Kübler die Studie wie folgt: „Wenn alle Leser der im Verbreitungsgebiet erscheinenden Zeitungen auch im Verbreitungsgebiet leben, ist die Kongruenz gleich eins. Wenn keiner der Leser der Zeitung im Verbreitungsgebiet lebt, ist die Kongruenz gleich null. Empirisch liegt der Wert immer irgendwo dazwischen. Man kann aber davon ausgehen, dass eine höhere Kongruenz dazu führt, dass Medien über politische Ereignisse in diesem Raum berichten. Was wiederum zu einer höheren Wahlbeteiligung führt.“
Im Ergebnis fand er heraus: Wenn sich ein Einzugsgebiet einer Lokalzeitung geografisch erhöht und somit weniger aus den einzelnen Gemeinden berichtet wird, führt das zu einer De-Lokalisierung und zu einer Ent-Öffentlichung des Lokalen. Die Folgen beschreibt Kübler wie folgt: „Es würde zu einer Entfremdung zwischen Gemeindepolitik und Bevölkerung kommen. Letztens wurde ich gefragt, ob das für die Gemeindepolitiker nicht auch angenehm wäre – schließlich würde niemand mehr kritisch über sie berichten. Aber diese Sichtweise ist falsch. Weil die Politik mit der Bevölkerung abgestimmt sein muss. Wenn sie es nicht ist, kann es sein, dass Politiker etwas beschließen, das völlig gegen die Interessen der Bevölkerung gerichtet ist. Dann kann es zu Protesten kommen. Die Politik würde so unberechenbar, das wäre auch für die Behörden ein Problem.“
Die Uni Zürich liefert zudem einen Grund, warum die Digitalisierung der Lokalzeitungen wirtschaftlich – mal abgesehen von der Zahl der Abos – wenig erfolgreich ist: „Je kleiner der Markt, desto schwieriger ist es. Früher haben lokale Medien davon profitiert, dass Unternehmen aus der Region auf ihren Seiten Anzeigen geschaltet haben. Heute ist das entkoppelt. Sie können den Guardian oder die New York Times lesen und bekommen dabei Werbung für ihren lokalen Metzger angezeigt. Die neuen Möglichkeiten der Online-Werbung haben den klassischen Werbemodellen den Boden entzogen, besonders im Lokaljournalismus.“
Zeitungssterben bedroht lokale Demokratie
Je weniger die Medien über lokale Politik berichten, desto geringer ist die Wahlbeteiligung – das zeigt eine neue Studie. Was tun? Ein Kommentar!
Zeitungssterben führt auch zum „Kampf“ gegen Amtsblätter vieler Kommunen
Je stärker die Lokalzeitungen unter Druck geraten, desto härter gehen die Verlage übrigens auch gegen Kommunen vor, die versuchen, diese Lücke der Berichterstattung in immer größeren Einzugsgebieten zu schließen. Immer häufiger kommt es zu Klagen gegen Amtsblätter der Kommunen, wenn diese „journalistische Berichterstattung“ betrieben oder Anzeigen in ihren Lokalzeitungen veröffentlichen. Beides ist in der Tat rechtlich nicht erlaubt. Amtsblätter dürfen nicht „journalistisch“ berichten und auch Anzeigen sind maximal in einem sehr eng gefassten Rahmen erlaubt. Was rechtlich zulässig ist und was nicht, darüber haben wir bei KOMMUNAL mehrfach ausführlich berichtet, unter anderem in einem Audio-Podcast mit dem Deutschlandfunk, den Sie HIER Nachhören können.
Meine persönliche Meinung zum Thema:
Die Entscheidung ob Zeitung bleibt oder nicht, trifft alleine der Bürger. Wer jedoch glaubt der Gegenwert von fünf Päckchen Zigaretten im Monat sei für eine Tageszeitung zuviel, braucht sich nicht zu beschweren, wenn er in absehbarer Zeit keine Informationen aus seinem Umfeld mehr erhält. Sicherlich gibt es auch noch andere Faktoren, die an der Existenz der gedruckten Medien nagen. Zeitung ist jedoch auch ein Kulturgut und wer darauf Wert legt, sollte sich wirklich überlegen, ob er dies wegen ein paar Euro im Monat aufs Spiel setzen möchte. Das große Sterben der Lokalzeitungen wird sich rasant beschleunigen – das dies ist eine Gefahr für die lokale Demokratie, zeigen Studien
Kommentare
Anna-Lena Wallenfels
Wenn ja wenigstens noch was Lokales drin stehen würde. Das hat so sehr nachgelassen und es geht fast nur noch ums Weltgeschehen (was natürlich nicht weniger wichtig ist). Das ist bei vielen Leuten die ich kenne der Grund, dass sie keine Tageszeitung mehr wollen.
· Antworten · 19 Std. ·
Anke
Das ist wie mit so vielem was Kultur betrifft – immer eine Frage des Geldbeutels. Und die Armut in Deutschland wächst leider unaufhaltsam, da überlegt man dreimal ob man eine Zeitung kauft. Zumal der Lokalteil wirklich den geringsten Teil der „lokalen“ Zeitung ausmacht.
· Antworten · 19 Std.
Helga Krell
Ich kämpfe auch schon geraume Zeit mit mir und dem Gedanken die Zeitung ab zu bestellen. 42.80€ ist viel für das Wenige im Lokalteil und die Todesanzeige. Die aktuellen Weltnachrichten habe ich bereits am Abend zuvor im TV gesehen. Sport interessiert mich nur wenn es den heimischen Raum betrifft. Also, was bleibt? 🤷♂️Warum kommt auch der Herborner Anzeiger nicht mehr mit der Zeitung? Wenn ich ihn erhalten will bin ich gezwungen den ganzen Reklamemist von Kompakt dazu zu nehmen. 😫
· Antworten · 18 Std.
Birgit Weigel-Rodius
Für mich gehört meine Tageszeitung unbedingt dazu. Ich kann‘s mir gar nicht anders vorstellen. Auch wenn sie natürlich besser war, als ich noch dort gearbeitet habe😂. Wenn man allerdings als Jounalist für seine Mitarbeit heute noch genauso mies bezahlt wird wie vor 30 Jahren, können keine schönen Geschichten entstehen. Trotzdem bleib ich dem Ding treu bis zum Untergang. Mitarbeiten werde ich zum Selbstkostenpreis nicht mehr. Schade, Ideen hatte ich viele …
· Antworten · 18 Std.
Jürgen Heckmann
Wie immer, auf den Inhalt kommt es an. Leider ist gerade das Herborner Tagblatt ein gutes Beispiel für die Veränderung einer Tageszeitung, wenn Hauptentscheidungsträger sehr weit weg vom Puls der Leser sind. Die Samstag-Sontag Ausgabe hat gefühlt 5% lokalen Anteil am Gesamtumfang. Dann kommt ein fetter Teil Ratgeber, Krankheit und Kultur, dann die Einnahmequelle (wichtig sonst wäre eine Tageszeitung noch teurer) dann noch viel Internationales, alt weil von gestern (Nachteil einer Zeitung). Alles nicht mehr so prickelnd.
Ich hänge aber an meiner Zeitung. Morgens mit einer guten Tasse Kaffee in Ruhe Zeitung lesen (dafür stehe ich auch früher auf) ist kult.
· Antworten · 17 Std.
Peter Heidrich
Ich brauche auch meine Tageszeitung. Ich bin an den Edersee gezogen und bekomme die Waldecker Zeitung in Papier und das Herborner Tageblatt als E-Paper. Ich möchte auch weiter teilhaben an den Herborner Nachrichten. Zeitung ist ein wichtiges Kulturgut.
· Antworten · 17 Std.
Hans-Dieter Wieden
Lieber Siggi, da muss ich Dir recht geben. Man gibt soviel unnötig Geld für Dinge aus, die man nicht braucht. Die Zeitung, ob in Papier oder digital gehört zur Heimat. Außerdem brauche ich das Herborner Tageblatt allein schon um Deine tollen Bilder zu sehen.
· Antworten · 17 Std.
Lukas Philipp Winkler
Ist nicht nur eine Frage des Geldbeutels. Unsere Zeitungsgruppe sorgt leider mit vielen Entscheidungen, die in Mainz getroffen werden, dafür, dass Leser unzufrieden werden. Das Herborner Zeitungshaus ist dicht. War eine frequentierte Anlaufstelle inmitten der Altstadt. Ich freue mich jede Woche auf Deine Unfrage, lieber Siggi. Allerdings finde ich es furchtbar, dass Vereine und Parteien seit Jahren zu Veranstaltungen einladen und einfach niemand von der Presse anwesend ist. Danach nehmen wir uns die Zeit, eigene Artikel zu verfassen, die dann entweder verkürzt, nach langem Bitten und Betteln oder häufig einfach gar nicht veröffentlicht werden.
Ich fand es schon sehr schade, dass die heimische Presse beim Besuch des Kanzleramtsministers am 1. Februar in Seelbach mit über 80 Gästen nicht anwesend war und der Artikel erst auf mehrfache Nachfrage Ende Februar veröffentlicht wurde. So etwas macht einfach unzufrieden.
· Antworten · 16 Std.
Siegfried Gerdau
Ich bin sehr froh über diese sehr nachdenkenswerten Kommentare. Hoffentlich erreichen sie die zuständigen Stellen. Ich hoffe auf weitere Zuschriften zum Thema.
· Antworten · 13 Std.
Carsten Geiß-Preuschoff
Ich kann mich Lukas Philipp Winkler nur anschließen! Die regionalen Nachrichten haben stark nachgelassen, Vereine fallen völlig „hinten runter“, Berichterstattung über Veranstaltungen derselben ebenso oder werden lieblos irgendwie „abgefrühstückt“. Eine richtige kulturelle Besprechung z.b. von Vereinskonzerten findet gar nicht statt. So kommt es, dass die Zeitung sogar Schuld ist am kulturellen Einerlei: Beispiel des Wirkkreislaufs anhand der Chorszene der Region: es gibt rund 60 Chöre in der Gegend Haiger-Dillenburg-Herborn. Davon sind einige aktiver, andere nicht, einige „besser“, andere legen andere Schwerpunkte. Das merkt man deren Auftritten auch an. Das soll nicht wertend gemeint sein. Wenn nun bei Konzerten seit Jahren nur das Programmheft mit verbindenden Worten abgeschrieben wird oder der Verein schreibt den Artikel selbst, ist natürlich die Besprechung des Konzerts nicht vorhanden. Das merken irgendwann auch die Leser und lesen es nicht mehr. Das wiederum merken die Redaktionen und drucken es nicht mehr mit der Begründung, es interessiere ja niemanden (selbst wörtlich so gehört!). Also erscheinen Chöre nicht mehr in der Zeitung und rücken in der Wahrnehmung der Leute stark nach hinten, es gehen weniger leute zu Konzerten oder nehmen Erfolge wie Wettbewerbsteilnahmen usw wahr. So kommt es, dass die Haltung der Zeitung zum Niedergang der Kulturszene beiträgt, das frustriert, nimmt die aktiven und deren Anhang nicht unbedingt für die Zeitung ein. Siggi, du hast uns selbst gehört, es kann nicht sein, dass ein Großteil der Leute gar nicht weiß, dass wir – ohne zu übertreiben – hessenweit zu den besten Chören zählen! Das ist auch ein „Verdienst“ der Zeitung…
· Antworten · 4 Std. · Bearbeitet
Ralf Triesch
Das waren noch Zeiten 😅