„Der bedrohte Friede“

Von Siegfried Gerdau

Es gab sie auf der Welt und gibt sie auch noch. Menschen wie der nachfolgend genannte Carl Friedrich von Weizsäcker, Spross einer Familie, die über Generationen tiefe, geschichtliche Spuren hinterlassen hat. Man hörte ihm zu und verehrte ihn. Seine philosophischen Betrachtungen über den Frieden oder besser Unfrieden, sind Gegenstand der Abhandlung in seinem 1981 erschienen Werk „Der bedrohte Frieden“, welches er 1994 auf den weltpolitisch, neusten Stand brachte. Die politischen Aufsätze 1945-1949 sind leider aktueller denn je und werden es vermutlich, was noch schlimmer ist, auch in Zukunft so bleiben.   

Carl Friedrich von Weizsäcker, geboren 28. Juni 1912, starb 28. April 2007 am Starnberger See. Der Sohn des später in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilten Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker und Bruder des Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, war Physiker, Philosoph und Friedensforscher.

Carl Friedrich von Weizsäcker wurde zudem als Organisator der „Göttinger Erklärung“ von 1957 bekannt. Darin protestierten 18 renommierte deutsche Kernphysiker gegen die von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß geplanten Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen. Gleichzeitig plädierten die Verfasser für den Ausbau der zivilen Nutzung der Kernkraft.

Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1963 an den Philosophen sagte Friedrich Wittig in seinem Grußwort: „Der deutsche Buchhandel möchte Carl Friedrich von Weizsäcker ermutigen, auf seinem Weg weiterzuschreiten, und mit ihm hoffen, dass sich über unsere schöne herrliche Welt nicht das Grauen einer Selbstzerstörung legt, die auszumalen auch die größte Realphantasie nicht ausreichen würde.“

In den folgenden Jahrzehnten profilierte sich Weizsäcker als radikaler Pazifist und Friedensphilosoph. Er forderte eine Weltinnenpolitik, der es gelingen müsse, „die Institution des Krieges zu überwinden“, nur so könne die Menschheit die Atombombe, überleben. Er krönte seine Aufklärungsarbeit 1970 durch die Gründung des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg, das Weizsäcker bis zu seiner Pensionierung 1980 gemeinsam mit dem Philosophen Jürgen Habermas leitete.

Der II. Weltkrieg wurde durch die totale Zerstörung Deutschlands und Niederschlagung seiner verbrecherischen Führungsclique faktisch beendet. Das entscheidende Moment war jedoch der Einsatz von zwei Atombomben durch die USA, auf die japanischen Städte Nagasaki und Hiroshima. Hunderttausende Menschen wurden getötet oder irreparabel verwundet und weite Teile des Landes durch Radioaktivität unbewohnbar gemacht.

Die Größenordnung der eingesetzten Bomben besaßen zusammen eine Sprengkraft von rund 40 000 Tonnen TNT. Wie wenig man damals tatsächlich über die Folgen dieser schrecklichen Waffe realisierte, wird durch die Tatsache deutlich, dass man ihnen die niedlichen Namen „Little Boy“ und „Fat Man“ gab.

Was damals unfassbar und in ihrer Grauenhaftigkeit scheinbar kaum noch zu toppen war, ist heute längst Geschichte. Neun Atommächte besitzen inzwischen zusammen etwa 12.700 Kernwaffen mit einer nicht vorstellbaren „Effizienz“. Die amerikanische Wasserstoffbombe B83 beispielsweise, von der die USA 650 Stück besitzt, gilt als stärkste im US-Arsenal. Mit einer Sprengkraft bis zu 1,2 Millionen Tonnen herkömmlichen TNT stellt sie alles bisher Dagewesene in den Schatten. Dass die zweite Atommacht Russland „Gleichwertiges“ in seinen Arsenalen hat, versteht sich von selber.

Seit dem Überfall Putins auf den ehemals kommunistischen Bruderstaat Ukraine wird (bisher zum Glück lediglich in philosophischen Betrachtungen) über die Möglichkeit des Einsatzes von taktischen Atomwaffen spekuliert.

Was sind taktische Atomwaffen: Taktische Kernwaffen sollen ähnlich wie „gewöhnliche“ Waffen im Gefecht eingesetzt werden – nur mit deutlich mehr Zerstörungskraft. Kleine Raketen gegen Ziele im Wasser, an Land und in der Luft spielen hier die Hauptrolle. Die Sprengleistungen sind im Vergleich zu strategischen Waffen gering, jedoch ungleich zerstörerischer als konventionelle Waffen. Was dabei völlig außer Acht gelassen wird, ist die nukleare Verseuchung der betroffenen Landstriche.

Der Einsatz von strategischen Atomwaffen hingegen wäre sozusagen das „Endziel“.  Schon viele Jahre lang sind Russland und die USA so weit, dass sie innerhalb kurzer Zeit jeden beliebigen Punkt auf der Welt mit der totalen Auslöschung überziehen können.

Um noch einmal auf Weizäcker zurückzukommen. Er schreibt in seinem Buch „Der bedrohte Frieden“: „Freilich wissen wir alle, dass die Regierungen der Weltmächte heute auf die Drohung mit der letzten Bereitschaft zum nuklearen Krieg noch nicht zu verzichten mögen. Aber diese Staatsmänner (hoffentlich auch Putin A.d.Red.) wissen selbst am besten, dass sie dabei zugleich mit dem Selbstmord alles dessen drohen, was sie selbst zu verteidigen wünschen. Wer diesen Krieg (III. Weltkrieg, A.d.Red) überleben würde-und in Europa würden es wenige sein-, der würde nur bedauern, dass er nicht unter den Toten ist.

Soweit schrieb Weizsäcker 1963 in Kapitel „Bedingungen des Friedens“. Das macht Mut in einer Zeit von Entwicklungen, die wir uns alle seit dem II. Weltkrieg nicht mehr vorstellen wollten oder konnten.

Ich kann allen Lesern nur empfehlen sich nicht auf die Meinung von Menschen einzulassen, die Krieg als Mittel der Politik im Bereich des Möglichen sehen. Kriegsgewinner sind lediglich die, die am Verkauf von Waffen partizipieren. Der Rest, bleibt auf der Strecke. Für denkende Menschen gibt es nur einen Weg bewaffnete Auseinandersetzungen zu verhindern oder zu beenden. Man muss miteinander zu reden. Dass dies auch mit „Durchgeknallten“ möglich ist, beweist die moderne psychiatrische Wissenschaft.

Quelle: Der bedrohte Frieden Carl Friedrich von Weizäcker, politische Ausätze 1945-1994. ISBN 978-3-86820-565-7.

Hessische Stiftung Friedens– und Konfliktforschung (HSFK) schreibt in ihrem HSFK-Report Nr. 1/2010:

„Im Vergleich zur Militärdoktrin aus dem Jahre 2000 nimmt die neue Doktrin deklaratorisch die Rolle der nuklearen Abschreckung etwas zurück. Bisher sollten Nuklearwaffen schon bei kritischen Situationen der nationalen Sicherheit (RUSMilDok 2000: Zif. 8) zum Einsatz kommen. Die neue Doktrin sieht dies – etwas zurückhaltender – nur noch bei einer existenziellen Bedrohung Russlands (RUSMilDok 2010: Zif. 22) vor.

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