Deutsche Demokratie und ihre Erben

Meinung von

Siegfried Gerdau

Es ist vollbracht. Die Spaltung von Gesellschaft und Familie hat einen unerträglichen Grad erreicht. Was mit Corona begann und sich jetzt mit „Bauernaufständen“ und gelenkten „Massendemonstrationen“ fortsetzt, macht Angst. Die Art und Weise wie „Meinungsverschiedenheiten ausgetragen“ werden, erinnert an die glücklose Weimarer Republik als Rechte und Linke Gruppierungen gegeneinander auf den Straßen unterwegs waren. Mein Vater, ein Kind dieser Zeit, warnte bereits vor mehr als 30 Jahren vor einer ähnlichen Entwicklung, die damals mit einer Katastrophe endete. Ich nahm seine Warnungen nicht ernst und führte sie auf die traumatischen Erlebnisse eines Weltkrieg II-Teilnehmers zurück.

Wie sehr hatte ich mich getäuscht. All das, was mir seit meinen ersten bewussten Lebensjahren anerzogen und begreifbar gemacht wurde, scheint keine Bedeutung mehr zu haben. Den Respekt vor der anderen Meinung, der verbal und mit durchdachten Argumenten begegnet werden kann, ist nachweislich verloren gegangen.

Die Eltern und Großeltern lernten teils mühsam Demokratie und der nachfolgenden Generation brachte man die wichtigsten Punkte dieser Staatsform intensiv bei. Wir Kinder wurden mit aller Konsequenz förmlich darauf gedrillt, immer wieder Vergleiche mit dem unseligen Nazi-Regime zu ziehen und zu begreifen, dass es keine Erbfeinde und keine Alleinvertreter der menschlichen Rasse gibt.

Es gab und gibt sie immer noch die alten Kommunisten und Menschen die dem nationalsozialistischen Gedankengut anhängen. Wo war und ist das Problem? Sie wurden von der gefestigte Demokratie unseres Staates assimiliert. Ich erinnere mich an die Zeit der Kommunistenjagd, an die Umtriebe in den der 1968er Jahre. „Macht kaputt was euch kaputt macht“, skandierten die linken Studentenverbindungen und diskreditierten alles was nur im Entferntesten auch nur an Waffen und Verteidigung dachte. Die Demokratie wurde jedoch selbst mit dem Baader-Meinhof-Komplex fertig, der sich daraus entwickelt hatte.

Ich lernte von meinen Eltern, die Stolz auf ihre konservative Einstellung waren, das Denunziation und üble Nachrede (heute Hetze genannt) verachtenswert ist. Sie hatten das System von Bespitzelung (heute Observation genannt) sowie „Blockwart-Meldungen“ am eigenen Lebe erlebt. Sie erzogen mich dazu, mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg zu halten und lehnten hündischen Opportunismus rundherum ab.

Wir diskutierten im Familienkreis und mit Freunden über Politiker wie Strauß und Wehner, ahnten um ihre Schwächen und schätzten sie dennoch für ihre fundierten Ansichten, die sie mit erkennbarem politischem Herzblut vortrugen. Wir erlebten den Aufwuchs einer Partei, die sich der Natur und dem Grünen verschrieben hatte. Viele Altkommunisten fanden darin ihre Heimat und konnten endlich ihre teils unverstandene Ideen umsetzen. Die Demokratie ließ sie gewähren und selbst als sie massiv gegen die Wieder-Bewaffnung auf die Straßen gingen und sogar die Bundeswehr, die demokratischste aller Armeen Deutschlands, abschaffen wollten, waren die sogenannten Altparteien in der Lage damit umzugehen.

Die konservativen Kräfte in der Republik waren sicher nicht glücklich über diese politischen Außenseiter, aber sie ließen sie, wenn auch knurrend, gewähren. Es formierten sich Rechte Parteien wie Republikaner und NPD und später auch Linke. Sie alle konnte man davon überzeugen, dass in dem wie geschmiert laufenden demokratischen Uhrwerk Bundesrepublik auch sie ihren Platz finden. Als Deutschland dank Russlands (Gorbatschows) Gnade sich gewaltfrei wiedervereinigen konnte, schien alles perfekt.

Es gab Männer wie Kohl und Genscher, denen man zuhörte und auch zutraute alles richtig zu machen. Politiker wie Helmut Schmidt und Willi Brandt und selbst einige Zeit lang auch noch Gerhard Schröder konnte die Menschen hinter sich bringen. Erst als die einstige DDR-Funktionärin Angela Merkel durch ihre „Regierungsarbeit“ die Bundesrepublik mit ihren Alleingängen irritierte, tauchten Fragen auf, die nie beantwortet wurden.

Corona war schließlich der Zeitpunkt, dass die deutsche Demokratie Zähne zeigen wollte. Die Spaltung zwischen Corona-Leugnern und Impf-Befürwortern zog sich durch Gesellschaft bis in die Familien. Es kamen weitgehend aus dem Zusammenhang gerissene Begriffe wie Nazis und Querdenker hauptsächlich in den Medien auf. Es wurde ausgegrenzt denunziert, gemeldet und geschnitten.

Zufrieden, wer sich auf der richtigen Seite wähnte und alle anderen verunglimpfen konnte. Schnell war die Gesellschaft in Gut und Böse geteilt. Der politische Gegner ruckzuck ausgemacht und dieser befeuerte die Jagd gegen sich selbst noch mit eigenen Dummheiten und den falschen Personen. Es wurde und wird gehetzt, diffamiert was das Zeug hält und Gnade dem Gott, der die falsche Meinung vertritt.

Jedes Wissens und jeder Logik widersprechend gibt es seitdem nur noch eine Wahrheit und wer sich der nicht unterordnet, wird gnadenlos bekämpft und ausgegrenzt. Kriegsverweigerer werden der Dummheit und Hirnlosigkeit bezichtigt und die Aufrüstung ohne Einschränkung befürwortet. Warner finden sich plötzlich in der Schublade der Putin-Versteher und AfD-Sympathisanten wieder. Schlimm ist, wenn das alles unter dem Überbegriff „Demokratie schützen“ buchstäblich vermarktet wird. Dass Demokratie bunt und vielfältig sein muss und auch andere Meinungen aushalten soll, ist offensichtlich aus dem Lehrbuch für demokratische Grundordnung gestrichen.

Der politische Gegner wird zum Glück bisher nur verbal niedergeknüppelt. Es gibt jedoch mittlerweile Stimmen die fordern Befürworter zu töten. Ist das alles Demokratie oder der Weg in eine totalitäre Entwicklung?

Wollen wir ein Einparteiensystem mit 99-prozentiger Befürwortung? Das gab es schon zweimal in Deutschland und wir alle oder zumindest die meisten von uns, waren Stolz darauf diese unseligen Epochen hinter uns gelassen zu haben.

Wer jetzt erwartet, dass ich ein Patentrezept für die weitere Entwicklung präsentiere, hat sich getäuscht. Leider kann ich nur zum Ausdruck bringen, was mich derzeit umtreibt. Ich wünsche mir, dass die Zeit wieder kommt, dass man seinen Unmut (berechtigt oder unberechtigt) über mangelhafte Regierungsarbeit zum Ausdruck bringen darf, ohne gleich eines geplanten Sturzes unserer Demokratie bezichtigt wird.

Schild bei Bauerndemo Foto: Gerdau

Vielleicht ganz am Ende doch noch etwas: Regierungen die ihre Arbeit gut und im Sinne ihres Amtseides machen, brauchen weniger Stacheldraht, Sicherheitsdienste und Observierungskräfte.

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