Karl-Friedhelm sucht die Freiheit

Von Arno Strobel

Es war Tag Eins nach der dreimonatigen Totalquarantäne. Der Tag, an dem man das erste Mal wieder das Haus verlassen durfte, ohne sofort erschossen zu werden. Karl-Friedhelm hatte das Datum im Kalender eingetragen, als es verkündet wurde. Dann hatte er mit einem Edding einen ungelenken Kreis darum gemalt und fortan jeden neuen Tag auf dem Kalender abgestrichen bis zu diesem ganz besonderen Datum, an dem das Covid 19 Virus allen Berechnungen zufolge, abgestorben sein sollte-an dem Tag, an dem das Leben in Freiheit wieder beginnen konnte.

Frische Luft, Sonne, ein Plausch mit dem Nachbarn, all das würde jetzt endlich wieder möglich sein. Das Leben würde wieder beginnen. Mit einer Bewegung, die er wegen des feierlichen Momentes langsam ausführte, entfernte Karl-Friedhelm das letzte der dicken Holz-Bretter, die er 12 Wochen lang quer über der Haustür angebracht hatte und mit den Enden in die Mauer gedübelt hatte. Jetzt stand er da und starrte die Tür an. Sie schien ihm plötzlich nackt und verletzlich, ohne ihr schützendes Gewand aus Brettern. Nacht für Nacht hatte er in den vergangenen Monaten so dagestanden, den Baseball-Schläger in der Hand, den Blick mit wummerndem Herzen auf die Bretter vor den Fenstern und der der Tür gerichtet, während von draußen diese fürchterlichen Geräusche an seine Ohren drangen.

Tiere vielleicht, die auf der verzweifelten Suche nach Nahrung alles daran setzten in die Häuser einzudringen. Oder Infizierte, denen in ihre Gier nach Mehl und Klopapier die letzte Menschlichkeit geraubt hatte. Die mit raubtierhaftem Instinkt die Witterung zur Toilette in seinem Haus aufgenommen hatten.

Es war überstanden. „Na los“, zischte Krimhild hinter ihm und umklammerte seinen Unterarm dabei mit beiden Händen so fest, dass er fast aufgeschrien hätte. „Nun mach sie schon auf.“ Er brauchte zwei Anläufe bis sich das Türblatt mit einem schmatzenden Geräusch vom Rahmen löste und sich aufziehen ließ. Geblendet schlossen beide die Lider, als die Sonnenstrahlen auf ihre kalkweißen Gesichter trafen. Instinktiv hielt sie ihre Unterarme vor die schmerzenden Augen. Blinzelnd warfen sie dann, noch immer im Flur ihres Hauses stehend, einen ersten Blick nach draußen. Freiheit! Endlich! Als Karl- Friedhelm sich zu Krimhild umdrehte, umspielte ein grimmiges Lächeln die tief nach unten hängenden Mundwinkeln. Schon im nächsten Moment schubste sie ihn grob beiseite und rief: „Weg da ich zuerst.“ Mit einer schnellen Bewegung war sie an ihm vorbei und aus der Tür hinaus. Sie machte einen ersten Schritt in die Freiheit, einen zweiten…. und dann fiel ein Schuss.

Krimhild erstarrte in der Bewegung und fiel nach vorne, als sei sie wie ein Baum gefällt worden. Karl-Friedrich wusste nicht wie die Zeit verging, in der er noch immer im Flur seines Hauses stehend auf den leblosen Körper seiner Frau starrte. Als ein Mann im Kampfanzug sich aus dem Busch von gegenüber löste. Das Gewehr hielt er schräg mit beiden Händen vor sich. Neben Krimhilds Leiche blieb er stehen und warf einen kurzen Blick auf die Tote bevor er Karl-Friedhelm mit strengem Blick ansah. „Sie haben die Quarantäne missachtet“, sagte er streng. Sie ist erst Morgen vorbei.

Karl-Friedhelms Blick wanderte von dem Polizisten zu seiner toten Frau und wieder zurück. Dann wandte er sich um und schloss die Haustüre hinter sich. „Ich weiß“, sagte er leise, und begann die Bretter wieder anzubringen. Dann pfiff er ein fröhliches Lied. Morgen begann die Freiheit!

Der Krimi Bestseller-Autor Arno Strobel hat mir die Veröffentlichung dieser von ihm verfassten, amüsanten Kurzgeschichte erlaubt. Herzlichen Dank dafür.

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