Kriegslust und Kriegsfrust

Von Siegfried Gerdau

„Wir müssen kriegstüchtig werden“, fordert SPD-Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius eins ums andere Mal. Sein parlamentarischer Staatssekretär Thomas Hitschler, ebenfalls SPD, bedankte sich in einer Rede Anfang dieses Jahres vor aktiven Soldaten prophylaktisch bei den „Blaulichtkräften“ für deren künftigen Einsatz im Aufmarschgebiet Deutschland.

Wir müssen kriegstüchtig werden? Jahrzehntelang genügte es, wenn die Bundesrepublik verteidigungsfähig (Art. 87a GG – Grundgesetz) war. Das ist mittlerweile seit 75 Jahren Geschichte, aber wohl auch schon einige Jahre nicht mehr der Fall. Da ist doch eine quantitative Frage angebracht. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Januar 2011 schrumpfte die Bundeswehr kräftig weiter. Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg[ (CSU), immerhin Unteroffizier der Reserve, brach mit einem Tabu und nannte den Einsatz auch von Bundeswehrangehörigen in Afghanistan „umgangssprachlich Krieg“.

Vereidigung

Während Grüne und SPD damals hochentrüstet über seine Aussage „die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands auch militärisch abzusichern“ reagierten, warf ihm sein einstiger Amtsinhaber Volker Rühe (CDU) die Zerstörung der Bundeswehr vor.

Mit ihren derzeit 181.000 Frauen und Männer-Soldaten ist wahrhaftig kein Staat zu machen, geschweige ein Krieg zu führen. Pistorius macht sich Gedanken. Mit Unterstützung von Bundeswehrverbands-Chef Oberst André Wüst auch über die Rückkehr zur Wehrpflicht.

Ob es reicht, wenn die ehemaligen Kriegsgegner, Friedensfreunde (Pflugscharen zu Schwertern) und sonstige Aktivisten mit fliegenden Regenbogenfahnen in die kaum noch vorhandenen Kasernen einrücken, ist die Frage. Viele andere wollen es nicht, wenn man den Umfragen Glauben schenken soll. Vielleicht wäre die französische Legion Etrangere ein Modell zur quantitativen „Aufwertung“ der Bundeswehr. Genügend junge und kräftige Männer sollten ja zu bekommen sein.

Um was geht es eigentlich? Es geht nicht mehr oder weniger um die Überlegung einen Krieg für nötig aber auch führbar zu halten. Das Feindbild, das die Bundeswehr nie hatte, hat Gestalt angenommen. Der russische Aggressor soll in die Schranken gewiesen werden. Bisher hat das die Ukrainische Armee für uns übernommen. „Deutschland wird auch in der Ukraine verteidigt“, glaubt der FDP Fraktionsvorsitzende Christian Dürr.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) auf der Konferenz „Europa 2024“: „Deutschland und Europa muss sich auf einen Landkrieg vorbereiten“. Auch die Rüstungsindustrie will er hochgefahren sehen. Die Union klatscht Beifall und wirft ihm gleichzeitig vor, für die aktuelle Unterfinanzierung der Deutschen Armee verantwortlich zu sein.

Sein Grüner Kollege Anton Hofreiter (Panzer-Toni) wurde einst wegen eines zu kurzen Beines als untauglich für den Wehrdienst eingestuft. Das Thema Wehrpflicht sei eine „Diskussion der Vergangenheit“, sagte er in einem Interview mit dem Politmagazin „Kontrovers“. Den Kanzler forderte er auf mit Frankreich über die Rolle der französischen Atomwaffen bei der gemeinsamen europäischen Verteidigung zu reden. Seine Vorstöße seien bisher nicht angenommen worden, klagte der Mann, der 2015 Waffenlieferung an die Ukraine ausschloss.

Katarina Barley SPD stellt die unterstützende Frage: „Warum eigentlich nicht Atomwaffen für Europa“. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) forderte die Regierungsfraktionen auf, jetzt Waffensysteme (Taurus) zu liefern, die der Ukraine Angriffe auf Ziele im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors ermöglichen. Die Union ist dafür, Scholz mauert.

„Stracki liebt den Frieden und bereitet deshalb den Krieg vor“ (taz im Februar 2024). Gemeinsam mit Anton Hofreiter begrüßt sie das US-Militär-Hilfspaket im Wert von 61 Millionen Dollar für die Ukraine.

In den USA wächst hingegen die Sorge, der ukrainische Gegenangriff könne eine atomare Reaktion Russlands auslösen. „Putin wird zu nuklearen Gefechtsfeldwaffen greifen, sobald ihm dies geboten erscheint“, warnt Harvard-Dozent Kevin Ryan, früherer US-Brigadegeneral und Militärattaché in Moskau, im Gespräch mit dem RND.

Deutschland verfügt selbst über keine eigenen Atomwaffen. Jedoch lagern auf dem Fliegerhorst im rheinland-pfälzischen Büchel etwa 20 US-Amerikanische Atombomben. Die in Büchel stationierten US-Atombomben sollen im Rahmen der nuklearen Teilhabe im Kriegsfall von deutschen Piloten ins Ziel geflogen werden.

Wie eine bewaffnete Auseinandersetzung in Europa ablaufen könnte, beschrieb schon der englische General a.D. Sir John Hackett in seinem 1978 erschienenen Werk „Der dritte Weltkrieg“ sehr plakativ. Dass Deutschland darin die berühmte A-Karte zog ist ebenso realistisch wie erschreckend. Von einigen geschichtlich-geografisch und politischen Veränderungen abgesehen, sind die geschilderten Szenarien absolut auf die Gegenwart übertragbar.

„Krieg ist Frieden“ persiflierte George Orwell in seinem zwischen 1946 und 1948 geschrieben Roman „1984“ zukünftige Entwicklungen. Eigentlich pervers angesichts des Krieges mit tausenden Toten in der Ukraine. Ganz sicher ist jedoch, dass all die, die heute über Krieg und Frieden philosophieren physisch nicht aktiv dabei wären.

Jedoch: Wie schrieb Gustav Le Bon in seinem 1895 erschienen Werk „Die Psychologie der Massen“: „Der Einzelne verliert in der Masse seine persönliche Kritikfähigkeit, seine eigene Fähigkeit, die Dinge zu hinterfragen und zu durchdenken. Hierbei spielt es eigentlich keine Rolle wie gebildet jemand ist: Als Teil der Masse wird er mitgezogen“.

Hierzu passt auch fast nahtlos diese Diskussionsrunde: https://www.youtube.com/watch?v=SAGFQye1hT0

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