Mit dem Mundart-Büchlein „Wu Gaggeragaagspisch en Moijäbbel woase“ hat sich die pensionierte Schulrektorin Bettina Georg aus Herbornseelbach zum zweiten Mal in Folge mit dem Seelbäjer Platt befasst. Bettina Georg hat das „Herbornseelbacher Deutsch“ verständlich übersetzt und hilft wohl damit dem Dialekt mit dem kräftigen R ein Weiterleben auch für die folgenden Generationen zu sichern.
Seelbacher Originale kommen in dem Buch ebenso zu Wort, wie auch Erzählungen, die teils über Generationen weitergegeben wurden. Kulinarische Ergänzungen sind alte Koch- und Backrezepte, die zum Nachkochen animieren und einen tiefen Einblick in die dörflichen Kochtöpfe verschaffen. Überhaupt ist ihr das Wissen über das Leben in dem damals selbständigen Dorf Herbornseelbach derart wichtig, dass sie nicht genug davon bekommen kann. Schicksale, die aus Feldpostbriefen herauszulesen sind, Geschehnisse in der eigenen Verwandtschaft oder der Nachbarschaft und all das, was im Verlauf von Jahrzehnten so alles im Dorf passiert und unbedingt festgehalten werden muss.
Das 145-Seiten umfassende Buch im DIN A 4-Format hat einen ganz eigenen Charme, dem nicht nur dörfliche Insider erliegen werden. Mir hat die Wortsammlung besonders gut gefallen, weil ich in meiner täglichen Arbeit immer wieder Plattschwätzer frage: „Wie wird das denn geschrieben“, aber selten darauf eine befriedigende Antwort bekomme. Jeder Abschnitt des Buches ist aufgebaut wie beim Buchstaben A: Also zunächst Wörter mit Übersetzung, dann Geschichten zum Buchstaben und an dritter Stelle Koch- und Backrezepte.
Der folgende Einblick in das Werk gibt einen kleinen Vorgeschmack.
- A
1.1 Wortsammlung
A Grammatik mögl. Übersetzung ins Hochdeutsche
Aabee N, s / S Abort, Abtritt, Toilette
aach Partikel auch
Aader N, m / S Eiter
Aag, Aae N, s / S, P Auge, Augen
aal, aald Adj alt
Aaldeutsche Schrift N, w / S Altdeutsche Schrift, „Sütterlin“ – Schrift
Aal Schuul N, w / S Alte Schule, beherbergt das Heimatmuseum Seelbach unter der Regie der
Heimat- und Geschichtsvereins 1987 eV
Aalbabbe, Abbe N, m / S Altvater, Opa
Aalmodder, Aawe N, w / S Altmutter, Oma
aawischt Adj unwirsch, unleidlich
Abbel, Äbbel N, m / S, P Apfel, Äpfel
Äbbelkuche N, m / S, P Apfelkuchen
Abbelsien N, w / S Apfelsine, Orange
Äär N, w / S Erde
äbsch Adj schlecht gelaunt
Ärbeer, Ärbeern N, w / S, P Erdbeere, Erdbeeren
Ärbt N, w / S Arbeit
Ärder N, w / S Order, Bescheid
ärwe, ärbt, geärbt V arbeiten, arbeitet, gearbeitet
ärrern V stapeln, aufschichten
Affegoad N, m / S Advokat, Rechtsgelehrter
aich Pronomen ich
Aijg, Aijer N, s / S, P Ei, Eier
Aijerkees N, m / S Eierkäse
Aijgger; aijggern N, m / S, P / V Acker, Äcker; ackern
Albsch N, m / S Alberner Mensch
alleweil Partikel jetzt
Asga N, s / S Umschreibung für „gib Gas“: gebb Asga
Atzel N, w / S Elster
Auer N, w / S Uhr
ausdou V etwas ausziehen
aut Pronomen etwas - 1.2 Geschichten und „ Verzehlcher “
1.2.1 Aaldeutsche Schrift
Diese Schrift, die für unsere Großeltern
noch Standard war, durfte ich während
der Grundschulzeit auch erlernen. Das
hatte große Vorteile beim Sichten und
Lesen von alten Dokumenten und
Briefen, die ich ansonsten nicht hätte
entziffern können. Gerade die Briefe
meiner verstorbenen Vorfahren aus dem
Krieg waren so für mich übersetzbar und
konnten endlich der Familie zum
Nachlesen überlassen werden. - 1.2.2 Ärbt
Die folgende Geschichte erzählte mir unser damaliger Pfarrer Hanstein, mit dem ich
viele Jahre im Vereinsvorstand des Heimat-und Geschichtsvereins tätig war. Er selbst
hatte ja in den 80igern schon ein wunderbares Büchlein mit dem Titel „Mein Seelbach“
geschrieben und veröffentlicht, in dem er seiner Ver-bundenheit zum Dorf nebst
Einwohnern Ausdruck verlieh.
Doch diese Anekdote habe ich darin nicht gefunden:
Als Pfarrer musste Hr. Hanstein sich in den ersten Monaten natürlich zunächst einmal
an die extreme Sprache und Ausdrucksweise der Seelbacher gewöhnen. Obgleich er
gebürtig aus Hirzenhain war, so war er doch „hochdeutsch“ im Pfarrershaushalt seiner
Eltern aufgewachsen. Um sich keine Blöße zu geben, fragte er auch nicht immer nach,
wenn er etwas nicht verstand, sondern machte sich seinen eigenen Reim darauf; wie
bei der Aussage von einigen Hausfrauen, die auf seine Frage, was denn ihr Mann
mache, immer antworteten: „Der ärbt“ oder „Der hodd geärbt“.
Und unser Pfarrer dachte damals im Stillen, und das erzählte er mit lachenden Augen:
„Was müssen hier doch viele Menschen gestorben sein, wenn so viele Männer erben!“
Das kommt daher, dass die Begriffe „ärwe “ für „arbeiten“ und „erwe “ für „erben“
phonetisch nicht zu unterscheiden sind.
Doch nicht nur Dialekt – Unkundigen passieren solche Fehldeutungen, sondern auch
Einheimischen, in dem Falle mir selbst, wie im Folgenden zu lesen ist. - 1.2.3 Affegoad
Oh du meine Güte, wie lange habe ich gebraucht, um die eigentliche Bedeutung dieses
Wortes im Dialekt zu verstehen, obwohl ich doch mit „Seelbaijer Pladd “ aufgewachsen
bin und es als meine Muttersprache ansehe. Und der Umstand kam so:
Als zehnjähriges Mädchen, gerade auf „de huug Schuul“ , also aufs Herborner
Johanneum Gymnasium gewechselt als erstes Kind unserer Großfamilie überhaupt,
nannte eine meiner Tanten mich immer „ der Affegoad“ . Ich habe mich im Stillen
extrem darüber geärgert, dachte nur, jetzt bist du nicht nur eine Brillenschlange, wie
mir einige Kinder nachriefen, weil ich eine einseitig abgeklebte dicke Brille trug,
sondern auch noch ein Affe. Ich wehrte mich nicht, ertrug es geduldig. Fragte auch
nicht nach, was denn das „goad“hinter dem „Affe“ bedeutet.
Viele, viele Jahrzehnte später, die scheinbare Schmach längst verdrängt, bekam ich
mit, dass mein Bruder einen seiner Söhne, einen Bücherwurm, als „ Affegoad“
bezeichnete. Ich war so erschrocken darüber, dass ich gleich einlenken musste:
„ Weij konnsd dau nur med su em beleijdichende Worrd deun Jong tidelleijern?“
Antwort meines Bruders:
„Weij kimmst dau mer doa ver? Aijch will den doch net beleijdiche. Der es doch ous
„Advokat “ en der Familie, su beleäse weij der es.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Hatte ja auch lange genug gedauert.
Mit „Affegoad“ ist der „Advokat“ gemeint, der Rechtsgelehrte mit meist sehr h ohem
Ansehen. Also hatte mich meine Tante in meiner Jugend gar nicht beleidigen wollen,
sondern einfach dem Umstand Ausdruck verliehen, dass ich ein belesenes Kind war.
Endlich konnte ich herzlich darüber lachen und ihr verzeihen, obwohl es ja gar nichts
zu verzeihen gab. So entstehen halt Missverständnisse. Gut, dass sie zuweilen geklärt
werden können. - 1.2.4 Aijer backe (von Bettina Georg)
Weij woar dos froijer doch su schie,
wonn mer off de Stronz konnt gieh!
En oft noam feijern en der Noacht,
wouwwer noch e Ponn voll Aijer gemoacht.
Meist zesoame met vill Moann.
Immse grießer woar de Poann.
En hatt mer net genong Aijer ver se all,
ging´s bein Nächste med em Hoijerstall.
Zoum Beispiel en de Seelbaijer Meehl,
gesonge wouwwer dou aus voller Kehl.
Bei suvill Musiggern em musikalische Dorf,
woar immer or debei, der es Hernche holt.
Or de Knutsch, aach Quetschkommod genoannt,
spilld Liejer, dej mer all gekoannt.
Beim Hoamgieh worsch dou meist schu hell,
doch verm Goang ens Bett moacht mer noch schnell
en Oabstecher en de Backstoob, su schie woarm,
vo Sophies brocht mer noch e poar Waijg med hoam.
Fersch Froistegg vo der „Family“,
joa, wej worsch froijer doch su schie!
1.3 Koch- und Backrezepte - 1.3.1 Aijerkees
Zutaten für zwei Personen
3 Eier, 150 ml Milch, etw. Salz + Zucker: verrühren, ins Weck-Glas und ins Wasserbad
Wenn die Masse gestockt ist, kann diese in die Eierkäseform umgefüllt werden.
Hat der Eierkäse seine Festigkeit in der Form erreicht, kann er gestürzt werden. Nun
ist er bereit als Belag f ür Weißbrot oder Kringe. Bestreut wird er mit Zimtzucker.
Möchte man für mehr Personen Eierkäse machen, rechnet man einfach pro Ei: 50 ml
Milch dazu und entsprechend mehr Salz und Zucker; also bei 10 Eiern: 500 ml Milch!
Das Buch kann man für 15 Euro direkt bei der Autorin Bettina Georg in der Bergstraße 8 in Herbornseelbach, Phone 02772/62867 beziehen.