Mit einer exzellenten Führung durch die Parkanlagen seiner Villa Haas in der Rudolfstraße Sinn begeisterte der Besitzer Dr. Klaus F. Müller zahlreiche Besucher am Tag „des offenen Denkmals“. Der Tag stand in diesem Jahr unter dem Motto „Wert-voll: unbezahlbar oder unersetzlich?“
Eine architektonische Meisterleistung im Dilltal
1892 sei die beindruckende Villa von Ludwig Hofmann gebaut worden. Heute steht der acht Hektar umfassende Besitz mit Haus, Park und Nebengebäuden als Kulturdenkmal unter Denkmalschutz. Der Herborner Architekt Hofmann (1862–1933) habe sich durch zahlreiche imposante Bauten-darunter alleine 150 Kirchen- einen Namen nicht nur in seiner Region gemacht.

Einer der wohl bekanntesten Architekten seiner Zeit baute auch die Bahnhöfe Gießen, Herborn und Haiger erfuhren die Besucher. An einer weiteren Hofmann-Villa neben dem ehemaligen Krankenhaus in der Herborner Nassaustraße, fahren viele Menschen fast täglich vorbei.
Hier wohnten die, die das Sagen hatten
„In der Villa Haas wohnten immer die, die das Sagen hatten“, erzählte der ehemalige Zahnarzt und Pionier der deutschen oralen Implantologie, mit einem Augenzwinkern. Die höheren Angestellten gruppierten sich in den umliegenden, natürlich etwas bescheideneren Villen, um die des Geheimen Kommerzienrat Rudolf Haas. Müllers Vater sei der Leiter des Haas‘schen Holzbauabteilung gewesen und der Großvater leitete die Gießereien des Unternehmens auch im Elsaß.

Natürlich war Haas & Sohn auch in der Rüstungsindustrie des I. und II. Weltkriegs involviert. Seine überregionale Bekanntheit errang das Unternehmen jedoch durch die weltweit größte Ölofenherstellung. Es wurden Hufeisen hergestellt und Draht gezogen. In Spitzenzeiten beschäftigte man bis zu 3 700 Leute. Als der Umsatz 100 Millionen erreicht wurde, baute man das heute noch am Sinner Ortseingang stehende Verwaltungsgebäude. Der Originalbau bestand aus 15 verschiedene Klinkersorten, die irgendwann einfach verputzt wurden. „Daran sieht man, wenn der Denkmalschutz einmal nicht tätig wird“, so Müller. Somit sei ein Sinner Wahrzeichen einfach verhunzt worden.
Mit der Errichtung der Arbeiterhäuser in der Rudolfstraße wollte man dem damaligen Erstarken des Sozialismus entgegenwirken. (Müller)
Der Denkmalschutz hatte gepennt
Das Eisentor, der Eingang zur Villa Haas wurde 1954 restauriert und die Sandsteineinfassungen entfernt. Der Blick durch die kunstvoll gefertigten Eisenornamente auf den gepflegten Park ist bereits eine Augenweide für sich. Vermutlich würde heute niemand mehr derartige Schönheiten herstellen können. Kaum noch jemand weiß heute, dass die sogenannte Neu-Hoffnungshütte (Haas & Sohn) mit ihren Fabrikanlagen sowie 250 Häusern und Wohnungen gar nicht zu Sinn gehörte. Der erweiterte Bereich der Villa Haas mit Wingert (Weinberg) und Viehweide war ursprünglich eine Staatsdomäne von Nassau. Die wurde nach deren Aufgabe um 1770 von Holland aus verwaltet. Als Rudolf Haas (1843–1916) sich anschickte dort seine „Unterkunft“ zu bauen, ließ er sich zahlreiche Entwürfe vorlegen. Den mit einem 30 Meter hohen Turm gefiel ihm am besten. Es war allerdings damals absolut unüblich, dass man als Bürgerlicher einen Turm an seinem Haus hatte, der höher als der Kirchturm des Ortes war.

Ein Brezelweg führt zur Villa
Der historistische Park mit seinem „Brezelweg“ lehnte sich an einen englischen Landschaftsgarten an. Die exotischen Pflanzen darin erzeugten bei einigen Menschen heute noch Widerwillen. Ihrer Meinung nach hätte die hier nichts zu suchen. Die Gärtnerei unterhalb der Villa beschäftigte 40 bis 50 Mitarbeiter. Die hätten jedoch auch im und ums Haus arbeiten zu verrichten gehabt. So sei der Kies beispielsweise gewaschen worden und das habe alleine ein halbes Jahr in Anspruch genommen.
„Wer keinen Dienstboteneingang hatte, soll möglichst keine Magnolien haben“, weiß Dr. Müller. Dies sei ein ungeschriebenes Gesetz gewesen und ein Verstoß dagegen enttarnte die Besitzer als Neureich. Die zu Geld gekommenen Neureichen wollte sich natürlich gerne dem Adel anpassen, daher auch der Hang Häuser, die über den der Arbeiter thronten, zu errichten.
Das Auge des Parks ist immer noch eine Schönheit
Der Teich, der von einem Talwärts fließendem Bach versorgt wurde, zierte als „Auge des Parks“ immer noch das Anwesen. Einen Park ohne Teich konnte man sich damals nicht vorstellen. Die im Parkeingang liegenden Steine weisen auf die 168 Haas’schen Bergbaubetriebe hin. Es wurde genauso Braunkohle wie auch Eisenstein abgebaut-die Wälder der Region wurden für den Hochofenbetrieb abgeholzt. 1890 gab es den ersten elektrischen Gleichstrom und später Wechselstrom. Die Zentralheizung des Hauses wurde nachts mit überschüssigem Gleichstrom betrieben, da in dieser Zeit die 4 000 Elektromaschinen nicht liefen. Dies sei doch sehr ökologisch gewesen, meinte Müller. Erst ab 1910 habe man für die nächsten 30 Jahre auf Einzelöfen umgestellt und dafür waren die 22 Kamine auch notwendig.
Den zahlreichen, unterschiedlichsten Bäumen im Park gilt Dr. Müller ganzer Stolz. Er zitierte passend Gernot Böhme: „Ein Park gibt nur die augenblicklichen Empfindungen des Betrachters wieder.“ Der zweite Eingang zum Park trägt heute noch das Schild „Verbotener Eingang“. Ihn durfte nur der Chef benutzen. Eine Tabakanpflanzung wurde während des I. Weltkriegs betrieben und in der Gärtnerei eine Fermentier Anlage.

Grotte von Lourdes im Westerwald
Weiter geht der Weg zur Grotte unterhalb des Hauses, die einmal jemand als Grotte von Lourdes im Westerwald taufte. Damit habe sie ja nun wenig zu tun, meinte der Hausherr lachend. „Die Flagge von Nassau Oranien verschaffen mir immer liebe Kommentare für die Unterstützung der Ukraine“, schmunzelte Müller.
Eine Eremitage und Eiskeller mit seinen „Schweinebauchgewölben“, zur Lagerung von Eisblöcken für den „Cuba Libre“ oder anderen Getränken und Speisen wird sichtbar. Auf dem Aussichtsrondell an der Villa steht eine Kanone. Von hier konnte man theoretisch nach englischem Vorbild auf die Arbeiter in der Firma sehen, wie sie das Eisen bearbeiteten. Das Teehaus mit seinen bunten Fenstern wurde einst von Oberstleutnant von Retzlaff initiiert. Ihn kannte Klaus F. Müller noch persönlich.



Glockengeläut und Riesenbäume
Um Punkt 12 Uhr läutet die Glocke im Villenturm laut und vernehmlich. Ein Riesen-Mammutbaum, | „Wellingtonia gigantea“ versperrt kurzzeitig die Sicht auf die Villa. Müller fragte in die Runde wie alt der Bergmammut mit seinem mächtigen Stamm wohl sei. Das höchste Gebot war 250 Jahre. Unter ah und oh kamen letztlich gerade einmal 28 Jahre heraus. Die Remise (Wirtschaftsgebäude), gleich gegenüber des ehemaligen Praxiseingangs, wurde in Form einer Scheinarchitektur- sie wirkt von außen größer als Innen- erbaut. Während vorm Tor schon die nächste Besuchergruppe wartete, musste sich Dr. Klaus F. Müller den zahlreichen Fragen seiner Gruppe stellen. Über eins war man sich einig, beim nächsten Mal sind sie alle wieder dabei. sig/Fotos: Gerdau