Martinimarkt

Das war „die gute alte Zeit“ im Dillkreis

Von Walter Schwahn (getextet 1978)

Vom Martinimarkt wurde schon viel geschrieben, seiner Kulisse galten viele begeisterte Zeilen. Wie es hinter den Kulissen war, muss man einfach erlebt haben. Wir haben es erlebt und das schon vor der Schule, so gegen sieben Uhr. Dann ging es um die Plätze und dies blieb jahrzehntelang das größte Gaudi, dass der große Markt zu bieten hatte.

Martinimarkt (Archiv-Foto: Gerdau)

Mit den Holzlatten fing es an. Die Schreiner liehen sie aus und schon vor der ersten Ausgabe erscholl das erste Gebrüll. Die „Schlawitzer“ weigerten sich oft, die Leihgebühr im Voraus zu entrichten. Vor allem wenn es regnete. Dann war sich mancher nicht darüber im Klaren, ob sich die Ausgaben überhaupt lohnen würden. Die Verleiher focht solches nicht an. Sie brüllten zurück und die Menschen erwachten barsch aufgeschreckt in ihren Betten.

Als Ruhe am Lattenmarkt einkehrte, begann der Platz um die Plätze. Um die besten Plätze und die waren nun einmal vor den Schaufenstern der Geschäftsleute. Die standen breitbeinig vor ihrer „Gerechtigkeit“ und wehrten den Ansturm der „Schlawitzer“ ab. Drei heimische Polizisten waren im Großeinsatz. Unter ihren Tschakos rauchten die amtlichen Schädel. Wir Kinder schlichen in der Morgendämmerung umher und sahen uns satt daran, wenn es Hiebe und Tritte setzte.

Ein Herborner Geschäftsmann- Name wollen wir hier nicht nennen-hatte seinen zähnefletschenden Hasso oder Harro an der kurzen Leine. Kein Budiker wagte sich auf Zehnschrittbreite heran. Andere, noch im Nachtjäckchen, priesen ihre Muskeln und Schuhspitzen an. Es half alles nichts, die Lücken füllten sich mit ganzen Stapeln von Latten, Kisten, Kasten und Koffern.

Das große Hämmern begann. Der Eisenmeckel verkaufte am Markttag schon in aller Frühe mehr Nägel als im übrigen Jahr. Es hämmerte Stadt auf, Stadt ab und über dem Homberg färbte sich der Himmel hell. Die Budiker untereinander kannten sich und riefen Grüße hinüber und herüber. Andere trugen ihre Erbfeindschaften aus und standen sich gegenseitig auf den Füßen. Schließlich stand die Budenstadt.

Uns rief die Schule. Wir hatten viel gesehen und erlebt. Wildwestfilme von heute sind Kindermärchen dagegen.

Der „wahre Jakob Nummer 1“ stand Jahr für Jahr am Holzmarkt vor Irrles Eck. Er war ein Souverän und sein Anspruch auf die Nummer 1 blieb unangefochten. Hier schoss er Spaten mit Hosenträgern, riet Bauern das Ding mit den Nägeln im Kreuz, bog Kämme wegen der lausigen Zeiten und spuckte im Übrigen auf die geistig Armen, die sich wie er ebenfalls „Wahrer Jakob“ nannten.

Vor dem Rathaus rasselte ein Entfesselungskünstler mit seinen Ketten, nicht weit von ihm pfiff ein Zwitscherling bekannte und unbekannte Vogelweisen. Ein Mann mit rotem Fez pries „türkischen Honig“ an und säbelte Scheibe um Scheibe vom runden Laib der süßen Masse. Drehorgelmänner sorgten für die musikalische Umrahmung des drängenden Marktgeschehens, Bänkelsänger vom Westerwald wateten im Blut vor ihren Bildtafeln. Darunter in der Unterstadt stand das „Panorama“ mit seinen zehn kreisrunden Fenstern. Man sah hindurch und erschauerte.

Bauern zwängten ihre Rinder durch die wogenden Menschenmassen, aus manchem Rucksack quickte ein rosige Ferkelchen. In den Wirtschaften rangelten sich Herborner Fleischwürste mit Rippchen nebst Kraut. „Schramme Bier“ unterspülte das Gerangel um die Gunst der Marktbesucher. Im „Deutschen Haus“, im „Nassauer Hof“ und im „Saalbau Kuhhannes“ war Tanzmusik. Die Polkas und Reinländer putschten mächtig auf. Die Burschenschaften aus den umliegenden Orten sammelten sich und erprobten Feindseligkeiten. Für sie alle war der Martinimarkt berufen, jahrelang schwelende Ortsfehden handfest auszutragen.

Bei Anbruch der Dunkelheit, als die Karbidlampen langsam an den Ständen erloschen, gab es Latten genug. Mit ihnen betrommelte man sich gegenseitig das Fell, bereinigte alte Zwistigkeiten und fachte neue an. Uns Kinder standen die Mäuler offen wegen der Befähigung vieler Bauernköpfe, wuchtigen Streichen standzuhalten. Wenn es endlich Ruhe auf den Straßen gab, schwang die Nacht schon ihren Mantel um den Wirrwarr, den der Markt hinterließ. In unseren Träumen blökten Kühe, grunzten Schweine, schrien Schlawitzer und dudelten die Drehorgeln.

Später wurde das alles anders. Die Stände verschwanden, Autos nahmen ihre Stellen ein und der Viehmarkt löste sich auf. Die Ortschaften wurden gut Freund, der Bursche aus Hörbach durfte ohne Widerstand die Maid aus Amdorf poussieren. Der Kaufmann brauchte keinen Prügel und kein Hasso mehr. Der türkische Honig verschwand und mit ihm das lustige Volk der Gitarrenweiber und Bänkelsänger. Auch die Herborner Fleischwurst hat gelungene Nachahmer gefunden. Seit es keinen Lous Neuendorff mehr gibt, haftet selbst dem saftigen Rippchen auf Sauerkraut kein lokaler Nimbus mehr an.

Der Markt passt sich an. Er gedeiht, wenn auch auf andere Art und Weise, auch in der heutigen Zeit.

(Alle Rechte vorbehalten Anne Schwahn-Schmidt)

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