Kein Ausgang aber viel Drill

Erinnerung an eine prägende Zeit.

Derzeitige Überlegungen die allgemeine Wehrpflicht wieder aufleben zu lassen, haben mich animiert einen nicht ganz unbedeutenden Lebensabschnitt, Bundeswehr, Revue passieren zu lassen. Ob die Einführung einer irgendwie neu gearteten Pflicht sich zum Kriegsdienst ausbilden zu lassen Sinn oder Unsinn ist, mögen andere Entscheiden. Fakt ist, dass diese Zwangsmaßnahme mit dem Risiko irgendwann sein Leben zu riskieren, ein gravierender Einschnitt in das Leben eines jeden Bürgers ob männlich oder weiblich bedeutet. Der heutige Wehrdienst wird mit Sicherheit anders als früher gehandhabt werden. Das Ziel ist jedoch das Gleiche. Menschen werden ausgebildet, um sich am Ende möglicherweise für Volk und Vaterland zu opfern.

Ich war jung und mein Interesse an der großen Politik hielt sich in Grenzen und als ich den Einberufungsbefehl in Händen hielt, nahm ich ihn eigentlich gar nicht so ernst. Erst nach der „voll tauglich“ Musterung, wusste ich, dass jetzt etwas völlig Neues auf mich zukam. Für meinen Vater Jahrgang 1908 war das alles selbstverständlich. Er hatte den Weltkrieg II überlebt und sprach jedoch so gut wie nie darüber. Für ihn, den überzeugten CDU-Mann, war der potentielle Gegner klar definiert. Meine Erziehung in dem erzkonservativen Elternhaus basierte auf Gehorsam und Pflichterfüllung. Als ich am 1. April 1967 „einrückte“ tat ich das wohl aus diesen genannten Gründen.

Schlank wie eine Tanne und noch im Besitz der zivilen Haarpracht

Die Marburger Tannenbergkaserne war für lange Zeit mein zweites Zuhause

18 Monate sind für einen jungen Mann eine lange Zeit. Genau 548 Tage hatte ich als „Koffer“ vor mir- so wurden damals die Neuen von ihren bereits länger dienenden Kameraden etwas abfällig bezeichnet. Aus dem Schilderhäuschen der Marburger Tannenbergkaserne trat ein Wachsoldat, der meinen Einberufungsbefehl genaustens unter die Lupe nahm. Er erschien mir wie ein Mensch aus einer anderen Welt. Stahlhelm, Dienstanzug mit Knobelbecher und ein blitzsauberes Gewehr. Ich bekam eine vage Vorstellung von dem, was mich erwartete.

 „Die Ausbildungskompanie 15/III liegt ganz am Ende Zauns“, erfuhr ich. Das schon fast historische Gebäude, in dem schon ganze Generationen von Soldaten ihrem Vaterland dienten, hatte natürlich auch ein Geschäftszimmer in dem zwei „Tagebären“ mit einem Balken auf dem Oberarm die Einstellungsprozedur erledigten. Die gleichaltrigen Zivilisten um mich herum hatten das gleiche Schicksal vor sich und schauten teils bedrückt oder zumindest verunsichert aus der Wäsche.

Ein offensichtlich befehlsgewohnter Soldat trieb den neuen Haufen Mensch anschließend vor dem Kasernenblock zusammen und bemühte sich eine gewisse Ordnung herzustellen. Antreten nannte er das und so traten wir an und harrten der Dinge. Die entwickelten sich schnell und es erschien ein weiterer Soldat mit einem Schiffchen auf dem Kopf und einer goldgelben Schnur an der Schulter. Das sei der Kompaniefeldwebel, der hinter vorgehaltener Hand auch als „Spieß“ bezeichnet wurde.

Was er uns erzählte war so viel Unbekanntes, dass die meisten von uns höchstens die Hälfte verstanden. Das wichtigste für uns war, dass wir am kommenden Wochenende keinen Ausgang hätten und bereits am nächsten Tag eingekleidet werden sollten. Wumms, das saß und die Gesichter der Neulinge wurden noch ein wenig länger.

Es war die Hochzeit des „Kalten Krieges“, der 68er und der Studentenunruhen. Von Bader /Meinhof bis zu den sowjetaffinen Sozialdemokraten. „Macht kaputt was euch kaputtmacht“, skandierten linke Gruppierungen und mittendrin als Steinewerfer ein späterer Bundes-Minister. Soldaten durften mit richterlichem Segen als Mörder bezeichnet werden und die neuen Rekruten wurden gleich zu Anfang gewarnt, sich nicht in Marburg als Soldat erkennen zu geben. Das war nicht ganz einfach, da da man uns mit unserem kurzen Haarschnitt ja zuordnen konnte. Ein paar Unbelehrbare erfuhren am eigenen Leib, dass sie als Menschen, die den Wehrdienst nicht verweigerten, von der Gesellschaft als der letzte Dreck eingestuft wurden. Zumindest empfanden wir das so.

Diese „wahren Demokraten“ kämpften gegen Aufrüstung und erst recht gegen die Nachrüstung. Blockierten Kasernentore- darunter auch das Unsrige- sowie die sofortige Abschaffung der Bundeswehr. Wir armen Tröpfe- die meisten von uns glaubten dem Ruf des Vaterlandes folgen zu müssen- wurden gleichzeitig kriegstüchtig gemacht. Ein guter Freund und überzeugter Soldat sagte mir angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in unserem Land viel später einmal: „Warum haben wir damals daran geglaubt den Frieden verteidigen zu müssen und sind nicht mit auf die Straße gegangen.“

Schliff und Drill von morgens bis abends

Viele von uns jungen Männern waren zum Teil aus dem Berufsleben oder Ausbildungsverhältnissen gerissen worden, um nun passend zurechtgeschliffen zu werden. Schon bald nach der Einberufung hatten nicht wenige der „Tagebären“ die Schnauze voll und erlebten nicht selten, wie gut es ihren alten Freunden in den unterschiedlichsten Zivildienststellen erging. Noch besser ging es denen, die aus den verschiedensten Gründen erst gar nicht eingezogen wurden. Der damalige „Freiheitssender 904“, der aus der damaligen DDR in den Westen ausgestrahlt wurde, verunsicherte uns, weil von dort ständig Meldungen verbreitet wurden, die uns betrafen.  

An die Einkleidung in der Marburger Jägerkaserne habe ich noch sehr schlechte Erinnerungen. In unseren schlotterigen Sportanzügen, die noch nicht einmal den letzten Avantgardisten begeistert hätten, wurden wir zum Gespött der gesamten Marburger Innenstadt. Mit eingezogenen Köpfen beeilten wir uns die 5 Tonner Pritschen zu erreichen, um schnell wieder der Öffentlichkeit entfliehen zu können. An den jungen Frauen in ihren ultrakurzen Miniröckchen konnten wir uns in den ersten Wochen nicht erfreuen. Es gab keinen Ausgang und um 22 Uhr musste alles in den Betten liegen. Das wurde vom Unteroffizier vom Dienst (UvD) kontrolliert. Einer aus der Acht-Mann-Stube musste für die Meldung in vollem Ornat aufbleiben. Der dienstliche Spruch, lautstark vorgetragen: „Stube 208 mit acht Mann belegt, sieben Mann in den Betten“, sorgte dafür, dass alle etwas davon mitbekamen. Auf den Stühlen lagen die Alarmpäckchen und wehe da war Unordnung drin.

Die gesamte Gruppe musste nach dem Leistungsmarsch geschlossen in die Kaserne zurückkehren. Wenn nur einer fehlte, wurde der Marsch am Wochenende wiederholt.

Glücklich waren die, die sich ein unterstes Bett gesichert hatten. Die im dritten Stock mussten ganz schön klettern lernen und der menschliche Duft war dort oben dafür umso intensiver. Um 5.30 Uhr ein Mordsgebrüll auf dem Flur: “Kompanie aufstehen“. Die Mutter daheim war da großzügiger. Hier wurde die sofortige Ausführung des Befehls überprüft und auch ob jeder mit freiem Oberkörper im Waschraum verschwand. Nur wenig später wieder ein Gebrüll „Raustreten im Sportanzug“. Die Kompanie versammelte äh… trat an zum gemeinsamen Waldlauf an. Zurück im Kasernenblock umziehen in den Arbeitsanzug, darüber die sogenannte Affenjacke (eine von den Gebirgsjägern ausgemusterte Jacke die nur bis zur Taille ging) und ab zum Frühstück. Wer ganz hinten in der Schlange stand, bekam höchsten noch den vagen Duft von Kaffee mit…. die viertel Stunde war um.

Kameradschaft auf Befehl

Wir waren jetzt Kameraden und der Drill oder „Dummfick“ wie wir es nannten schweißte erstaunlich zusammen. Ob bei der Formalausbildung im Dienstanzug mit Helm oder bei Auseinandernehmen und Zusammensetzung unserer Braut, dem G3. Immer musste alles schnell und fehlerfrei passieren und auch wenn damals schon Kollektivstrafen verboten waren, hatten alle darunter zu leiden, wenn einer Misst gemacht hatte. „Gewehr des Soldaten G. entladen, Patronenlager frei, Gewehr gesichert“, ein Satz, bestimmt fünfzigmal gehört und gesprochen, bleibt im Kopf. Wer bei Stabsunteroffizier A. im Zug war, konnte einem leidtun. Mit fast geiler Freude „bestrafte er die kleinen Sünden egal wo und wann auf der Stelle. Wir nannten ihn Nato-Zwerg und wenn er das gehört hätte, wäre er bestimmt nicht erfreut gewesen.

Ein anderer Soldat gleichen Dienstgrades hatte ein Glasauge und wer als Ordonnanz im Kompaniekeller eingesetzt war, konnte bei einem der vielen abendlichen Trinkgelage der Unterführer schon mal erleben, dass er es aus dem Kopf nahm, in sein Bierglas warf und anschließend weiter daraus trank. Es gab die Feldwebel K. und K. und beide waren zwar hart in ihren Forderungen aber gerecht. Der Spieß der Kompanie Hauptfeldwebel Freund genoss ebenso wie der Kompaniechef Hauptmann Hirschmann den Respekt von Mannschaften und Unteroffizieren.

In meinem ganzen Leben habe ich nicht so viel gesungen wie in meiner Grundwehrdienstzeit.  Ob es „der Adler über den großen Kieferwäldern des Brandenburger Land“ war oder das „Westerwaldlied“, ich kann sie immer noch ohne Fehl und Tadel singen. Gehasst habe ich und alle anderen den Formaldienst und besonders das „Deckung auf dem Kasernenhof“ nehmen in vollem Dienstanzug. „Auf die Stuben wegtreten“ hieß zehn Minuten später mit dem Befehl sofort in einem anderen Anzug antreten zu müssen. Die Spind-Ordnung danach, kann man sich gut vorstellen. Da war für nicht wenige der Wochenendurlaub gelaufen.

A pro po Spind-Ordnung und Bettenbau. Wer je einen Soldatenspind gesehen hat, wird sich mit Grauen an die Spind-Appelle erinnern. Nie konnte man es dem Kontrollierende recht machen. Immer war etwas auszusetzen und ganz rabiate Vorgesetze rissen die mühsam aufgebauten Klamotten mit einer Handbewegung auf den Boden. Lediglich das Wertfach musste nur wenn es der Chef befahl, geöffnet werden. Die Schuhkarton große und ganz private, unkontrollierbare Welt war alles was uns an Privatsphäre blieb. Ein weiters Problem war der Bettenbau. Der musste direkt nach dem Aufstehen perfekt sein und war oftmals ein Ziel übereifriger Unteroffiziere.

Natürlich wurde die Stube mit ihrem Parkettfußboden täglich gereinigt und gewachst. Der Revierdienst war den einzelnen Stuben zugeordnet und wenn am Wochenende die langen Flure mit den querverlaufenden Rillen geputzt werden mussten, trat schon mal einer der Unterführer gegen die Putzeimer und die ganze Brühe verteilte sich im Flur. Beschwerden gegenüber solchem Fehlverhalten wurden spätestens beim Kompaniefeldwebel abgeblockt und verliefen im Sand. Ein neuer Spieß, Hauptfeldwebel Schmitz, hatte den alten abgelöst und auch ein neuer Chef, Oberleutnant Münch, sorgte mit neuem Elan für frischen Wind in der 15/III.

Ordnung und Gehorsam waren die Schlüsselbegriffe

Mulmig wurde mir steht bei den Liegestützen mit dem damaligen „Theatermesser“ unter dem Bauch. Man wusste ja nie ob es im Heft feststand oder wieder lose hineinrutschte. Auch diese fragwürdige Ausbildungsart wurde unwidersprochen von allen hingenommen. In der Zentralen Dienstvorschrift hat davon sicher nichts gestanden. Mit „besonderer Freude“ fand einmal im Monat ein Kirchgang in die Kirche unterhalb des Tannebergs statt. Fast im Renntempo gings runter und fast ebenso schnell wieder hinauf. Für viele und natürlich auch mich war es die reinste Form der Selbstkasteiung.

Mindestens einmal wöchentlich war Geländeausbildung auf den nahegelegenen Standortübungsplatz angesagt. Besonders die mit Matsch und vielem anderen mehr gefüllten Pfützen und eine Abwasserröhre, die wir fast ständig durchkriechen mussten, sind mir in unangenehmer Erinnerung geblieben. Einer der Ausbilder, ein junger Feldwebel mit einem markanten (Panzer)-Kinn sorgte mit seinen bestiefelten Füßen dafür, dass keiner mit gespreizten Armen und Beinen die Pfützen überqueren konnte, um trocken zu bleiben. Wir sahen jedes Mal nach dem Marsch über den Hasenhügel buchstäblich wie Schweine aus. Trotzdem ging es mit Gesang in die Kaserne zurück.

Waffenreinigen war direkt danach angesagt und wehe die Ausbilder fanden noch ein Sandkorn oder ähnlich schreckliches an der Waffe. Dann erst waren der Anzug und die Stiefel dran. Alles musste in kaum zu schaffender Zeit picobello sauber sein und auch dies wurde direkt kontrolliert. Wenn man eines lernte, dann war es mit der knappen Zeit für alle Verrichtungen umzugehen.

Der Dienstgrad Gefreiter war eine Auszeichnung für jeden Soldaten nach mindestes einer Dienstzeit von sechs Monaten.

Die dreimonatige Grundausbildung war gelaufen und ich durfte als Hilfsausbilder in der Kompanie bleiben und fortan hinter Gruppenführer in der 15/III agieren.

Eingewöhnt und Angepasst

Ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Neuen des dritten Quartals stellte sich zu meiner Verwunderung recht bald ein und als ich dann nach sechs Monaten zum Gefreiten avancierte, war ich der King. Alle Rekruten unserer Kompanie mussten mich Grüßen und ich stellte erst viel später fest, wie leicht es ist, einem Menschen das Gefühl von Macht über andere zu verleihen.

Teil II in Kürze. sig/Fotos: Gerdau und privat

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