Weihnachtsgeschichte von Walter Schwan

Die dreizehnte Gans (erschienen 1986)

Zwölf stattliche Gänse nannten Webersch ihr Eigen. Sie pflegten sie, fütterten sie gut und ab und zu wurde auch gestopft. Genudelt, wie es fachlich heißt. Damals wollten die Käufer nur fette Gänse haben.

Die massigen Tiere machten viel Lärm, aber plötzlich geschah ein Unglück. Ein Unglück, das im Grunde genommen keins war. Die rothaarige Hilda, eine Verwandte aus der Stadt, nahte mit einem zugeknöpften Weidekorb und lächelte in Geberlaune.

„Hier bring ich euch en Gans. Das freut euch doch, net wahr. Ich habe das Vieh bei einer Tombola gewonne un weiß wirklich net, wohin damit. Zum Glück seid ihr zwei mir eingefalle. Ich will noch net emal was dafür hawwe. Mach das Dierche schön fett un denkt ab und zu auch emal an mich.“

Damit ging sie wieder, angeblich hatte sie noch zu tun. Der alte Weber starrte die Weber und die Weber den alten Weber an. „Das is ja e Ding!“ maulte schließlich der Alte. „Kommt die Rotfüchsin daher un bringt uns en Gans. Etz hawwe mer Dreizehn, da werrn mer mei Zähn knochehart, hat die se noch all?“

„Warscheins net“, entgegnete die Webern, „mer verschenkt doch net mir nix dir nix e Gänsedier!  Am End frisst die noch wie en fett Sau. Proste Mahlzeit.“

Die dreizehnte Gans war halt da. Sehr energisch sogar. Mit weit gestrecktem Hals und giftigem Zischen schlug sie die anderen Zwölf in die Flucht. Binnen weniger Tage war sie die absolute Herrin des Hofes. Webersch passte das ganz und gar nicht. Das Tier ging sogar auf Menschen los und es machte nicht den geringsten Unterschied zwischen Fremden und ihren neuen Besitzern. „Also die muss als errschte dran glauwe“, grollte der alte Weber. „Wenn mir se zwische unsern Zähn hawwe , isser das Zische un Schnappe vergange.“

Weihnachten rückte heran. Die ersten Besteller fanden sich ein, um ihre Gans bei Webersch abzuholen. Diese Prozedur ähnelte jedes Mal einer Schlacht. Die Dreizehnte biss sich an Hosenbeinen und Frauenröcken fest. Sie zu ergreifen, blieb ein unlösbares Problem. Sie zischte noch, als die Rotte auf sieben Stück geschmolzen war. „Du, die lasse mer erlege. Ich sag dem Förster Bescheid, der soll se ins Jenseits un in de Bräter befördern.“ Der alte Webern: „ Mache mer, prima Idee. Du weißt ich muss vier Dag weg, um alte Kameraden ze besuche. Wenn ich widderkomme kriegt se die Kränk.“

Die vier Tage gingen auch herum. Der alte Weber traute seinen Augen nicht-es waren nur noch vier Gänse da und das Schönste daran: Die Dreizehnte war auch verschwunden. Die Webern stand dabei und verzog weinerlich das Gesicht. Dann brach es aus ihr heraus: „Ja, gelle da guckste! Zwei Gäns hab ich verkauft un etz willste sicher wisse, wo dem rote Dippedeuwel ihr Raubtier von Gans gebliwwe is? Du wirscht lache, das Mensch kreuzt mit seinem Korb hier uff, geht ins Höbsche, greift sich ihr Gänsedier un haut ab.“

„Ei wie das dann? Hat die Gans sich dann von dem Weibsmensch greife lasse? Un üwerhaupt, was soll das Ganze? Is das dann alees wortlos üwer die Bühn gegange? Un die Müh, die mir hatte? Die Gans hat doch gefresse wie drei annern. Frau du hast widder mal versagt. Dem Rotkopp hätte ich geholfe.“ „Liewer Mann, die hab ich gedauft kurz un lang. Was ich der alles an ihrn rote Kopp geworfe hab. Awwer die hat sich nur bedankt un lässt dich schon grüße. So en fette Gans hätt se noch nie gehabt. Ei, die war sogar so frech, und dut dir schöne Feierdag wünsche.“

Der alte Weber schäumt vor Wut. Das nennt man „Verwandte“. Doch er überlegt nicht lange und stürmt ins Haus. Über die Schulter brüllt er noch zurück: „Warte dem Rotfuchs werrn ich en Brief schreiwe, der sich gewasche hat. Die wird vor Tatsache gestellt un der Brief geht heut noch ab.“ So kam es, dass die rote Hilda zwei Tage später einen Brief in Händen hielt, der ihr ein Schmunzeln entlockte. In der ungelenken Handschrift des alten Weber stand da zu lesen: „Fuchs du hast die Gans gestohle, gib se widder her. Sonst wird dich der Deuwel hole mit…ach Quatsch. In drei Dag is die Gans hier, awwer schön geruppt un prima ausgenomme..“ Alle Rechte vorbehalten: Anne Schwahn-Schmidt. Archivfoto: Gerdau

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