Odo Stüttgen: Forum Union: politisch-wirtschaftlich-machbare Zukunft gestalten
„Sie sind die Mehrheit, aber sie gehen nicht auf die Straße: jene Bürger, die eine realistische Energie- und Wirtschaftspolitik fordern, eine verträgliche Migration und die Abschaffung von Meldestellen. Warum sind sie nicht lauter?“
Ein Artikel in der Welt, der Verständnis für die Situation von Friedrich Merz zeigt, und gleichzeitig diejenigen Menschen auffordert, die für eine vernünftige und bürgerliche Politik sind, trotz Enttäuschung und teilweise berechtigter Kritik seit dem Wahlabend, Merz zu unterstützen.
Von Monika Maron
Stand: 27.10.2025
„Alle beschimpfen Friedrich Merz, die einen als rechts und rassistisch, die anderen als links, noch andere als grün, und da rede ich noch gar nicht von der AfD. Und wer ihn weder für rechts, links, grün oder dumm hält, der hält ihn für feige. Und ihm Mut zu bescheinigen, fällt wirklich schwer. Aber mir tut Friedrich Merz leid, oder besser: Ich verstehe, wovor er Angst hat. Ich stelle mir vor, wie ihm zumute sein muss, wenn er abends im Bett liegt (auch ein Bundeskanzler muss schlafen und liegt darum wie wir alle nachts in einem Bett), ich stelle mir also vor, dass Friedrich Merz in seinem Bett liegt und überlegt, wie er wenigstens das eine oder andere seiner Wahlversprechen erfüllen kann, ohne die SPD zum Koalitionsbruch zu ermutigen.
Denn ohne die Drohung der SPD, die ganze Regierung einfach auffliegen zu lassen, kann man sich ja die Meinungsführerschaft der Sozialdemokraten in dieser Regierung gar nicht erklären. Es scheint vielleicht absurd, dass sich die SPD mit ihren prognostizierten 14 Prozent den Bruch der Koalition leisten könnte, die CDU mit 25 Prozent aber nicht. Trotzdem ist es so, denn die SPD hat ja noch die Linke und die Grünen zur Auswahl, die CDU aber niemanden, weil die AfD nicht zählt.
Nun sagen viele, das könnte Friedrich Merz ja ändern, er könnte sagen, wie schon einmal kurz vor der Wahl: Für ihn zählt nicht links oder rechts, sondern nur, was richtig ist, und wenn die AfD mit ihm und der Union für das Richtige stimmt, soll es ihm recht sein. Aber dass ihm dazu der Mut fehlt, kann ich sogar verstehen, denn wir wissen alle, was dann passieren würde.
Alle Angestellten der NGOs würden ihre Handys zücken, und in Stunden wären sie wieder zu Hunderttausenden auf den Straßen, würden die CDU vermutlich zur neuen NSDAP ernennen und Friedrich Merz zum neuen Hitler, wahrscheinlich würden ihre Palästinenserfreunde sich dazugesellen, SPD, Linke und Grüne sowieso. ARD und ZDF würden rund um die Uhr Interviews und Kommentare über den beispiellosen und verantwortungslosen Rechtsruck des Kanzlers senden, Angela Merkel würde betroffen die Entscheidung verurteilen, sicher auch einige ihrer Anhänger in der CDU. Der Ruf nach Neuwahlen würde laut und natürlich auch nach dem Verbot der AfD.
Angesichts dieses erwartbaren Szenarios kann ich verstehen, warum Friedrich Merz sich das einfach nicht traut. Er ist kein Helmut Schmidt, der es auf sich nahm, Hanns Martin Schleyer nicht zu retten, weil er sich von Terroristen nicht erpressen ließ, und der seinen Sturz in Kauf nahm, als er und seine Partei im Streit um die Pershing II sich nicht einigen konnten. Nein, ein Held ist Friedrich Merz nicht, auch sonst ist weit und breit kein Held zu sehen. Friedrich Merz bräuchte Menschen, die ihn ermutigen, die ihm zu dem Mut verhelfen, der ihm fehlt. Aber wer könnten die sein? Die Linken und Grünen bestimmt nicht. Es wären gerade die Enttäuschten, die ihn jetzt beschimpfen, die ihn für einen Lügner, Feigling oder einfach für kanzleruntauglich halten.
Aber vielleicht fände Friedrich Merz ja den Mut, den er braucht, um das zu tun, was er vor der Wahl versprochen hat, wenn auf den Straßen nicht nur absurde linke Parolen geschrien würden, sondern auch die Stimmen derer zu hören wären, die eine realistische Energie- und Wirtschaftspolitik fordern, eine verträgliche Migration, die Abschaffung der staatlich geförderten Denunziation in Form dubioser Meldestellen. Sie sind die Mehrheit, aber sie sind nicht zu sehen und zu hören. Sind sie nicht genauso mutlos wie der Kanzler, den sie für seine Feigheit verachten? Oder liegt es, wie viele behaupten, nicht in der DNA der Bürgerlichen, auf die Straße zu gehen und zu protestieren? Oder halten sie die Sache für sowieso verloren?
Natürlich kann ich mich irren, und mein Mitleid mit dem Kanzler entspringt nur meinem Unglauben, dass er wirklich ein amtsversessener Lügner sein soll. Ich gebe zu, dass es viel Fantasie und Hoffnung braucht, um an die Rückkehr von Vernunft in die deutsche Politik (und die der EU) zu glauben. Aber seit dem Fall der Mauer glaube ich an Wunder. Auch die Ostdeutschen waren nicht besonders mutig, bis es ihnen gereicht hat und sie auf die Straße gegangen sind. Wir sollten es wenigstens versuchen, und dann werden wir ja sehen, ob Friedrich Merz endlich sagt: So, lieber Lars, es reicht. Ab jetzt zählt für mich nicht links oder rechts, sondern nur, was richtig ist.