Dass die schöne Stadt Herborn eine geschichtsträchtige Vergangenheit hat, steht außer Zweifel. Über Jahrhunderte hinweg gab es Blütezeiten, aber auch Not und Elend mussten die Menschen an der Dill über sich ergehen lassen.
Ein Herborner, der sich wie kein anderer in unendlich vielen Geschichten und Anekdoten mit dem Leben in der Stadt und seiner Bewohner befasste, war Walter Schwahn. Durch meine Freundschaft mit seiner Tochter Anne und deren Ehemann Artur Schmidt, bekam ich Zugang zu dem überwältigenden Fundus an Zeitgeschichtlichem aus der Feder dieses herausragenden Herborners. In loser Folge möchte ich mit seinen Geschichten die Erinnerung an ihn und sein Schaffen erhalten. sig
Heute: Wer war Walter Schwahn?
Walter Schwahn, der Herborner Chronist
Von Anne und Arthur Schmidt
Walter Schwahn kam 1908 in Herborn zur Welt. Das Geburtshaus, ein kleines Fachwerkhaus am Schulberg, gegenüber der Corvinschen Druckerei, steht schon lange nicht mehr. Hier hatte der legendäre „Onkel Otterbein“ um 1800 dem jungen „Pagenstecher“ Herborner Gespenstergeschichten erzählt.

Der Corvinsche Hof, gleich gegenüber, steckte ebenfalls voller Geschichten. Aus diesem Ambiente zog der kleine Walter mit Familie zur Schule gleich nebenan ins „gelbe Häuschen“. Später in der „Rot Schul“ erlebte er deren Rektor Schuhmann, der damals auch die Herborner Heimatkunde pflegte. Seinen Schülern erzählte er in den Unterrichtstunden reichlich Herborner Sagen und Anekdoten. Er war es auch, der die schriftstellerische Begabung Walter Schwahns erkannte und sich bemühte ihn zu fördern.
Das war jedoch damals gar nicht leicht. Der Besuch einer höheren Schule war schulgeldpflichtig und genau das war im Hause Schwahn knapp. Walter gehörte zu einer Generation, deren Leben durch die beiden Weltkriege verdüstert wurde. Was ihm mit dem von den Eltern mühsam Erspartem vielleicht doch noch die weiterführende Schulausbildung ermöglicht hätte, ging 1923 in der Inflation verloren.
Der Rektor vermittelte seinem Zögling eine Buchhändlerlehre, die der zielstrebige junge Walter erfolgreich beendete. Einen adäquaten Arbeitsplatz bekam er jedoch nicht. Die Weltwirtschaftskrise stürzte das Land und auch ihn in die Arbeitslosigkeit. Nach Notstandsarbeiten im Talsperrenbau im Rehbachtal bekam er eine Stelle in der Industrie, die er bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1972 auch behielt.
Seine Stunde als Heimatschriftstellers schlug nach dem zweiten Weltkrieg. Die Herborner hatten beschlossen, 1951 das Jubeljahr 700 Jahre Herborn angemessen zu feiern und dazu auch ein Stück Heimatgeschichte auf die Bühne zu bringen. Das gab es anderswo schon länger, war aber in Herborn Neuland. Es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den Walter Schwahn mit einem Entwurf der „Barbara“ für sich entscheiden konnte.
Der Stoff stammte aus der Herborner Sagenwelt, verbunden mit handfesten historischen Überlieferungen des Stadtschreibers Hoen aus dem Dreißigjährigen Krieg. Entscheidend waren wohl die Vorlagen Schwahns die auf Erzählungen von Rektor Schuhmann um das „Spatenweiblein“ basierten. Diese Dramatisierung zeigten einen Walter Schwahn, dessen sicheres Gespür für packende Szenen und machtvolles Anliegen Botschaften zu übermitteln, schon damals ausgereift waren.
Die „Barbara“ ist ein Heimatstück der besonderen Art, weil es die sogenannten einfachen Leute in den Mittelpunkt rückt-Frauen und Männer gleichberechtigt. Der Konflikt, um den mit knapper Not und ausgerechnet von dem verachteten Scharfrichter verhinderten Justizmord an Barbara, lässt gerade die in der Heimatliteratur gerne paradierenden Eliten aus Politik, Militär und Kirche ziemlich kläglich aussehen.
Sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur hielt Schwahn seinen Zuschauern damit einen nur leicht verfremdeten Spiegel vor. Er zeigte mit dem Stück wie es ist, wenn man aus Feigheit Unrecht geschehen lässt und wie Außenseiter mehr Anstand und moralische Kraft aufbringen als die „gesittete Mehrheit“.
Walter Schwahn blieb der Gattung Heimatspiel und seinen Überzeugungen treu. Die aus der „Barbara“ entstandene Trilogie „Unsere kleine Stadt“ zeugt noch immer davon. Sein unbeschwertes Stück „Das edle Haus-ein Herr auf Greifenstein“ gehörte zu seinem Spätwerk Es handelt von der legendären Wette des Grafen v. Solms-Greifenstein mit dem weltberühmten Marschall Turenne.
Die Handlung: Die beiden Haudegen beschließen statt einer Belagerung des Greifenstein ein Wettsaufen um die Festung. Dies allerdings zum Entsetzen von Hofgesellschaft und Geistlichkeit. Unstreitig und historisch belegt eine geniale Alternative zum Dillenburger Schlossbrand 1760.
Darüber hinaus war Walter Schwahn seinen Mitbürgern ein ständiger Begleiter durch seine wöchentlichen Beiträge im Herborner Tageblatt. Diese waren immer gewürzt mit echtem Herborner Humor und erschienen von 1957 bis zu seinem Tod im Jahr 1989.
Als wsw, wie sein Kürzel in der heimischen Zeitung lautete, für immer verstummte, fand sich für ihn kein Nachfolger. Walter Schwahns literarisches Lebenswerk ist ein Geschenk an seine Heimatstadt.