Kommentar von Siegfried Gerdau
Das Land mit der hoffnungsvollsten demokratischen Entwicklung gerät immer mehr aus den Fugen. Wie konnte es nur passieren, dass all das, wofür in den 1968er Jahren linksgerichtete Studentenmassen auf die Straßen gingen, auf den Kopf gestellt wird.

Erbittert kämpften sie damals gegen Nachrüstungsbeschlüsse. Die Existenz der Bundewehr wurde in Frage gestellt und die, die damals die Uniformen anzogen, als potentielle Mörder beschimpft. Der Wehrdienst wurde in denselben Kreisen verweigert und der Kriegsdienst sowieso. Es gehörte zum guten politischen Ton an Ostern gegen die Nato, Atomraketen und Waffen überhaupt zu marschieren, Kasernen zu blockieren und in den linken Hochburgen zur Jagd auf Wehrpflichtige zu blasen. Die noch relativ junge Grüne Partei forderte in ihrem damaligen Parteiprogramm gar die Abschaffung der Bundeswehr.
Die Friedensmarschierer von damals („Frieden schaffen ohne Waffen“) und Schwerter zu Pflugscharen-Schreier machen heute die nieder, die sich gegen Krieg und für eine Intensivierung intelligenter Diplomatie aussprechen.
Mit hunderten Holzkreuzen protestierten stramme Sozialisten gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen, verurteilten aufs tiefste jegliche Aufrüstung und achteten streng darauf, dass ihre Kinder nicht einmal mit Holzgewehren spielen.
Die immer noch Genossen sangen gemeinsam mit ihren sowjetischen Brüdern im Geiste die Internationale, pflegten enge Verbindungen über den eisernen Vorhang hinweg und verurteilten den konservativen Teil der deutschen Bevölkerung aufs tiefste.
Mao Tse-tung und Ernesto „Che“ Guevara, die marxistischen Revolutionäre und Vordenker, waren die Ideale und wer sich vom Establishment deutlich abgrenzen wollte trug deren Buttons auf dem revolutionären Kittel.
Was ist seitdem passiert?
In den Medien sind fast täglich die neuesten Waffen zu bestaunen, die Bundeswehr soll so schnell wie möglich erstarken und das Volk kriegstüchtig gemacht werden. Es wird die Stationierung von weiteren Mittel- und am besten auch Langstreckenraketen im Herz der Republik befürwortet und sogar gefordert. Krieg als politischem Mittel wird wieder Satisfaktion erteilt.
Es gibt kaum noch genügend Pflugscharen, um den Stahlbedarf einer explodierenden Rüstungsindustrie zu stillen. Wer es wagt sich dagegen auszusprechen oder gar die Friedenstaube der einstigen Friedenskämpfer zu zeigen, wird als ewig Gestriger verdammt oder als Putin-Freund verunglimpft.
Müssen ausgerechnet wir als militärisches Bollwerk die Freiheit notfalls mit dem Einsatz unseres Lebens und der Auslöschung unseres Landes verteidigen?
Anders als ein Paradoxon lässt sich es nicht bezeichnen, dass die in der Vergangenheit nicht selten als Kriegstreiber gebrandmarkte USA heute der beste Freund Deutschlands ist. Dies hält aber Viele nicht ab fast die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung als Idioten zu bezeichnen, weil sie einen angeblichen Idioten zu ihrem Präsidenten gewählt haben.
Der deutsche Kaiser von Gottes Gnaden Wilhelm I. übernahm einst den anmaßenden Satz, dass vom deutschen Wesen die Welt genesen sollte. Sein Sohn forcierte das Gesagte und ließ sich in einen Krieg auch gegen Russland ziehen. Von Napoleon Bonaparte dem selbsterklärten Kaiser Napoleon I. dessen Truppen 1812 in Russland ihre Vernichtung erlebten, hatte der Guten nichts gelernt. Dieser I. Weltkrieg der sowohl in Russland, den westlichen Staaten und sogar in Fernost stattfand, endete erst 1918 mit dem totalen Zusammenbruch des Kaiserdeutschlands und forderte auf allen Seiten mindestens 17 Millionen Opfer.

Die Wunden waren noch nicht gänzlich geleckt, als der nächste Größenwahnsinnige namens Adolf Hitler 1939 das Deutsche Volk in einen weiteren Krieg schickte. Er schaffte es mit lockerer Hand sich die ganze Welt zum Feind zu machen. Als die 9. Armee in Stalingrad fast völlig vernichtet wurde, wendete sich allmählich das Blatt und der II. Weltkrieg geriet auf deutscher Seite ins Stocken. Ungeachtet auch der zunehmenden Zerstörung deutscher Städte durch alliierte Bomben, schrien 1943 Tausende im Berliner Sportpalast ihr Ja zum totalen Krieg heraus. Das Ergebnis ein weiterer totaler Zusammenbruch mit vermutlich 80 Millionen Menschen, die mittel oder unmittelbar durch Kriegseinwirkungen zu Tode kamen.
„Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der IV. Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen ausgetragen“, orakelte Albert Einstein, der bereits 1955 verstarb. Der Ausnahme-Wissenschaftler hatte sehr präzise Vorstellungen davon, welche Folgen der Einsatz der bisher schrecklichsten aller Waffen auf Menschen, Tiere und Umwelt haben würde.
Haben gerade wir, die Deutschen, nichts von all dem gelernt?
Wir setzen mit aller Kraft auf Experimente in Sachen Umwelt und Klimaschutz, zerstören dabei fast die Grundlage unseres bisherigen Wohlstandes und wollen der Welt erklären was richtig und falsch ist.
Wir lassen zu, dass das deutsche Volk bis in die Familien gespalten wird und feuern die Menschen an sich gegenseitig mit aller verbaler Kraft an die Hälse zu gehen. Wir lassen zu, dass Denunziationen, und gegenseitige Verleumdungen wieder hoffähig werden. Die „Melder“ haben Hochkonjunktur. In dem Land, dass sich viele Jahrzehnte lang mit dem Eintreten für Recht, Ordnung und persönlicher Freiheit gebrüstet hat, wird wieder überwacht was das Zeug hält. Politiker aller Couleur zeigen Bürger an, wenn diese sich ihnen gegenüber im Ton vergriffen haben. Das hatte schon vor 80 und zuletzt bis vor 35 Jahren in Deutschland Konjunktur.
Wir erklären die, die eine andere Meinungen vertreten, zu Nazis oder Querdenkern und würden ihnen am liebsten eindeutige Erkennungszeichen umhängen. Wir Deutsche, die im sogenannten III. Reich Millionen Menschen ermordet haben, lassen zu oder schauen weg, wenn Menschen jüdischen Glaubens oder Abstammung beschimpft und sogar verfolgt werden.
Wir Deutschen lassen uns von Staatsekretären erzählen, dass wir uns darauf einstellen müssen militärisches Aufmarschgebiet zu werden. Wir Deutschen diskutieren darüber, ob uns der Einsatz taktischer Atomwaffen wirklich mehr schaden könne, als dem „Feind“.
Wo ist der gesunde Menschenverstand geblieben?
Deutschland wurde aus der Sicht unserer Nachbarn als das Land der Dichter und Denker bezeichnet. Nachdem der deutsche Größenwahn abrupt ausgeschaltet werden konnte, waren wir dennoch bis vor kurzer Zeit mit die größte Exportnation und unsere Produkte wegen Made in Germany gefragt. Fast unmerklich erwachte er wieder, der der alte Größenwahn: Wir retten die Welt vor der Klimakatastrophe. Wir weisen der Welt den Weg zur Glückseligkeit. Wir wissen alles und sind gnädig bereit unser Wissen der Welt zu schenken.
Dann marschierten Putins Truppen in das einst russische Bruderland Ukraine ein. Das ist verbrecherisch und dafür muss Russland bestraft werden. Wirtschaftliche Sanktionen erwiesen sich jedoch als kontraproduktiv. Selbst konnten und können wir mangels Masse gegen die Militärmaschinerie aus den Weiten des russischen Imperiums nicht antreten. Aber wir konnten und können die ukrainischen Soldaten mit Knowhow und vielen Waffen unterstützen.
Parallel dazu wird die Bundeswehr zahlenmäßig und rüstungstechnisch aufgerüstet. 100 Milliarden Sondervermögen auf Pump, zusätzlich zum auf über 50 Milliarden gestiegenen Vereidigungshaushalt kein Problem. Finanzminister Christian Lindner (FDP), der sich gegen weitere Kreditaufnahmen wehrte und auf die vereinbarte Schuldenbremse verwies, wird einfach aus der Regierungskoalition hinausgeschmissen und seine Partei im nachhinein als Bremser und Querschießer bezeichnet sowie an den Pranger gestellt. „Der zu erwartende Krieg fordert von Allen Opfer“ und wieder machen (fast) alle mit. Die im Februar 2025 zu wählende Regierung wird vermutlich da weiter machen, wo die alte aufgehört hat. Da einige aus der Ampel ihren Platz im Berliner Reichstag behalten werden, ist Kontinuität garantiert.
Eines ist doch gewiss. Auch wenn die russische Nomenklatura einen verbrecherischen Krieg vom Zaun gebrochen hat, werden wir militärisch noch lange nicht dagegenhalten können. Ob wir das letzten Endes überhaupt wollen, ist die Frage. Ganz sicher wollen wir keinen totalen Krieg, zumal die Bevölkerung noch nicht einmal die Möglichkeit hat sich in Bunkern in eine vermeintliche Sicherheit zu begeben. Es gibt nämlich gar keine mehr und dafür hatte in den vergangenen Jahren auch die deutsche Friedensbewegung gesorgt. Wir waren ja ausschließlich von Freunden umgeben und das ist auf die Dauer doch sehr langweilig. Foto: Gerdau
Anmerkung: Soeben sah ich in den Nachrichten, dass öffentliche Gebäude in Deutschland als Bunker genutzt werden sollen. Alles klar?
Noch eine Anmerkung: Soeben schickte mir eine Leserin folgenden Text und ein dazu gehöriges Foto: Sehr geehrter Herr Gerdau,
Ich habe vorhin ihren o.g. Artikel gelesen. Passend dazu möchte ich Ihnen das angehängte Foto zusenden.
Ich hatte es vor drei Jahren an einer Gedenkstätte in Bremen – Blumenthal aufgenommen.

Es erschien mir irgendwie passend ..
Mit freundlichen Grüßen
Kornelia M.