Geht es der letzten grünen Lunge Herborns an den Kragen?

Die Gerüchteküche brodelt. Nichts Genaues weiß man nicht und die Verantwortlichen in Herborn hüllen sich weitgehend in Schweigen. Es geht um eine Bebauung des Gebietes am Herborner „Weinberg“. Genauer um die Abholzung und Zersiedelung eines mit alten Laubbäumen bewachsenen Waldstreifens, der nicht nur eine grüne Lunge für Herborn ist. Das Objekt der Begierde heißt im Volksmund „Pfeifers Loch“. Es bildet mit seinen alten Bäumen nicht nur eine Schutzbarriere vor den Schadstoffen der naheliegenden Autobahn A 45. Zahlreiche Tiere siedeln hier. Angefangen von Fuchs, Reh und Hase über Wildschweine und vor allem Fledermäuse. Von den immer mehr durch ähnliche Bauvorhaben zurückgedrängten Vogelarten gar nicht erst zu reden.

Pfeifers Loch bildet eine Baum-Barriere zwischen A 45 und der Stadt. Foto: privat

Hier oben wollen Investoren eine Reihe Streif-Fertighäuser bauen und dies ohne Rücksicht auf die noch intakte Natur und den Klima regulierenden Faktoren. Wenn man auf die Facebook-Seite von Streif Herborn geht, bekommt man eine Vorstellung von der Bauweise der Häuser. Streif Herborn wirbt mit seinem Musterhaus in der Schönbacher Str. 39 a in Herborn-Hörbach. So hat man mal eine Vorstellung wie diese Häuser zwischen der Burger Landstraße und der Zufahrt zur Autobahnraststätte Dollenberg aussehen könnten.

Hier, in dem blau umrandeten Gebiet, sollen die Bäume fallen und die Häuser gebaut werden. Foto: privat

Besonders schmerzhaft ist die Tatsache, dass angeblich die rund 100 Laubbäume schon in den nächsten Wochen gefällt werden sollen. Diese Bäume, mit ihren weit ausladenden Kronen, sind ja nicht nur ein schöner Anblick, sondern haben als Schadstofffilter gerade in unserer immer mehr belasteten Umwelt eine sehr wichtige Funktion. Ihre Wurzeln verfestigen einen Schiefer-Hangbereich, der bei Starkregen ohne diese natürlichen Anker in Bewegung geraten könnte. Die Auswirkungen mag man sich nicht vorstellen.

Wird auf das Naturdenkmal Weinberg keine Rücksicht genommen?

Als Zufahrt für sämtliche Baufahrzeuge und Materialtransporte wird die sehr steile und schmale Straße Am Weinberg dienen. Sie soll wohl auch nach Fertigstellung der Häuser den Bewohnern als Straße zur Verfügung stehen. Vermutlich muss die Stadt auch bei der Verlegung der Versorgungsleitungen dem Naturdenkmal Weinberg ein wenig zu Leibe rücken. Ob das im Sinne von Denkmal- und Naturschutz ist, darf bezweifelt werden. Den Herborner Bürgern, die mit Masse und berechtigter Weise vom Denkmalschutz gegängelt werden, stellt sich schon die Frage wie man plötzlich mit einem Naturdenkmal derart frevelhaft umgehen will.  

Die schmale Zufahrtsstraße Am Weinberg müsste drastisch verbreitert werden.
Ein Idyll für Fauna und Flora soll schon bald Geschichte sein.

Der Sturm der Entrüstung über die angedachte Fällung eines alten Baums auf dem Hintersandparkplatz ist noch nicht verklungen. Man spricht von „grüner Lunge“ und deren Bedeutung für die Stadt. Der Weinberg ist die letzte große grüne Lunge und hier geht es nicht um einen, sondern um rund hundert Bäume und die Tierwelt, die ohne nicht überleben kann. Grund genug laut und vernehmlich darüber nachzudenken, ob man die einfach so absägt, um Platz für gerade einmal vier oder fünf Häuser zu schaffen. Man müsste in diesem Fall von Anachronismus sprechen. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Aussage des ehemaligen Herborner Bürgermeisters Hans Benner (SPD) ein. Er sprach vor Jahren anlässlich der Freigabe des Baugebietes in der oberen Alsbach von der letzten Maßnahme dieser Art.

Der ausufernden Zersiedelung der Landschaft muss dringend Einhalt geboten werden. Besonders eine Stadt wie Herborn, die immer mehr auf Erholung suchende Menschen und Kurzzeittourismus setzt, muss darüber nachdenken, wie sie die immer mehr zurückgehende Industrie kompensiert. Sich auf die kreativen Unternehmer zu verlassen, die Herborn immer mehr zu einer Erlebnisstadt mit kaum noch einer überschaubaren Anzahl von Café-Häusern und einer funktionierenden Gastronomie machen, ist zu dünn. Hier muss die Administration die besten Rahmenbedingungen schaffen und darauf achten, dass nicht die Interessen einzelner Vorrang bekommen.

Wenn diese grüne Lunge platt gemacht wird, hat das Auswirkungen aufs Herborner Klima.

Die schöne und liebenswerte Stadt an der Dill darf nicht weiter zersiedelt werden. Wie es gehen muss, zeigt schon seit ein paar Jahren ein innovativer Investor mit großem Lokalpatriotismus. Er kauft Häuser bevorzugt in der Innenstadt auf, renoviert sie mit viel Einsatz und Geldmittel, um sie anschließend sehr erfolgreich und bezahlbar zu vermieten oder auch zu verkaufen. So bleibt der Stadtkern am Leben und eine Zersiedelung mit Neubauten an der Peripherie der Stadt ist unnötig.

Herborn lebt nicht zuletzt durch seine Schönheit im Kern der Stadt und nicht wegen Neubauten an der Peripherie.

Die Verantwortlichen der Stadt Herborn wiegeln noch ab. Und doch haben aber wie man hört die Streif-Haus-Investoren Jessica und Frank Gierlichs aus Hörbach schon vor längerer Zeit das Flurstück „Pfeifers Loch“ für „nen Appel und en Ei“, also vergleichsweise geringen Betrag, gekauft, der aber angeblich noch nicht geflossen sei. Es sieht so aus, dass wenn der Bauantrag für dieses zum Bauland erklärte Gebiet bei der Stadt eingeht, er auch bearbeitet werden muss.

Ob hier tatsächlich „nur“ Einfamilien- oder höhere Mehrfamilienhäuser gebaut werden, liegt im Bereich der Spekulation. Der ist im Übrigen bei der derzeitigen Verschleierungspolitik Tür und Tor geöffnet und die Gerüchteküche kocht bereits über. Die Menschen wünschen sich eine transparente Politik und möchten an Vorhaben, die sie direkt oder indirekt betreffen, angemessen beteiligt werden. Die Straße Am Weinberg, die eher einem geteerten Feldweg ähnelt soll angeblich in aller nächster Zeit verbreitert und neu angelegt werden. Dies sei aber unabhängig von irgendwelchen Baumaßnahmen schon länger geplant, vernahm man aus dem Rathaus. Man kann nur hoffen, dass das Hinweisschild „Naturdenkmal“ dabei nicht zu Schaden kommt und entfernt werden muss. Die Herborner Grünen in Gestalt von Dorothea Garotti und Reiner Dworschak sind bereits involviert und waren auch schon vor Ort, um sich einen Überblick zu verschaffen. Text und Fotos: sig

Nachtrag

Nach einem ausführlichen Gespräch mit der Herborner Bürgermeisterin Katja Gronau (parteilos) kristallisierte sich heraus, dass bei der Stadtverwaltung bisher noch kein Bauantrag beziehungsweise Bauanfrage eingegangen ist. Somit kann Gronau auch keine detaillierten Auskünfte zum Thema Weinberg-Bebauung erteilen. Ihr sei lediglich bekannt, dass das Grundstück (hier genannt) Pfeifers Loch) von einem Privat-Eigentümer an die Investoren Jessica und Frank Gierlichs verkauft worden sei.

Wenn also jetzt ein Bauantrag von den beiden Genannten eingehen sollte, wird er entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und der Beteiligung aller zuständigen Stellen wie Naturschutzbehörde etc. völlig ergebnisoffen bearbeitet.

Davon völlig unabhängig könnte jedoch im Vorfeld die Fällung der auf dem Grundstück stehenden Bäume ab dem 31.August 2020 erfolgen. Dazu nachfolgend das entsprechende Gesetz.

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) (Auszug)

§ 39 Allgemeiner Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen; Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen

(1) Es ist verboten,

1.

wild lebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten,

2.

wild lebende Pflanzen ohne vernünftigen Grund von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten,

3.

Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören.

(2) Vorbehaltlich jagd- oder fischereirechtlicher Bestimmungen ist es verboten, wild lebende Tiere und Pflanzen der in Anhang V der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Arten aus der Natur zu entnehmen. Die Länder können Ausnahmen von Satz 1 unter den Voraussetzungen des § 45 Absatz 7 oder des Artikels 14 der Richtlinie 92/43/EWG zulassen.

(3) Jeder darf abweichend von Absatz 1 Nummer 2 wild lebende Blumen, Gräser, Farne, Moose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter sowie Zweige wild lebender Pflanzen aus der Natur an Stellen, die keinem Betretungsverbot unterliegen, in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen.

2.

Bäume, die außerhalb des Waldes, von Kurzumtriebsplantagen oder gärtnerisch genutzten Grundflächen stehen, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen; zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen,

3.

nach § 15 zulässige Eingriffe in Natur und Landschaft,

4.

zulässige Bauvorhaben, wenn nur geringfügiger Gehölzbewuchs zur Verwirklichung der Baumaßnahmen beseitigt werden muss.

Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung bei den Verboten des Satzes 1 Nummer 2 und 3 für den Bereich eines Landes oder für Teile des Landes erweiterte Verbotszeiträume vorzusehen und den Verbotszeitraum aus klimatischen Gründen um bis zu zwei Wochen zu verschieben. Sie können die Ermächtigung nach Satz 3 durch Rechtsverordnung auf andere Landesbehörden übertragen.

(6) Es ist verboten, Höhlen, Stollen, Erdkeller oder ähnliche Räume, die als Winterquartier von Fledermäusen dienen, in der Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. März aufzusuchen; dies gilt nicht zur Durchführung unaufschiebbarer und nur geringfügig störender Handlungen sowie für touristisch erschlossene oder stark genutzte Bereiche.

(7) Weiter gehende Schutzvorschriften insbesondere des Kapitels 4 und des Abschnitts 3 des Kapitels 5 einschließlich der Bestimmungen über Ausnahmen und Befreiungen bleiben unberührt.

Dieses seltene Exemplar wohnt auch in Pfeifers Loch. Foto: privat

     

Wie schön, dass es so nah an der Stadt noch diese Waldbewohner gibt. Foto: privat

13 Gedanken zu „Geht es der letzten grünen Lunge Herborns an den Kragen?

    • 2. August 2020 um 23:42 Uhr
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      Wäre sehr schade, wenn die Natur so beschädigt werden soll.

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  • 2. August 2020 um 23:43 Uhr
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    Soll soo bleiben wie es ist. Dankeschön

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  • 4. August 2020 um 12:56 Uhr
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    Ist halt ein sogenanntes „Sahnestückchen“.

    … die komplette Torte bitte in deren Gesicht die das verantworten werden!

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  • 4. August 2020 um 16:53 Uhr
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    Schon mal was vom Klimawandel gehört?
    Sehen sie nicht wie die Natur leidet, wie die Wälder sterben, wie Tierarten aussterben etc.?
    Es ist ganz einfach: wir brauchen nicht weniger Bäume sondern deutlich mehr!
    Sonst geht auch uns Menschen bald mal die Luft aus…
    Stoppen wir also dieses unsinnige Projekt!

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  • 7. August 2020 um 10:47 Uhr
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    Das Herborner Stadtparlament hat Herborn zur Klimastadt erklärt. Aber die Spitze der Verwaltung (Bürgermeisterin und Bauamtsleiter) ist davon unbeeindruckt. Statt dem Unsinn am Steilhang des Weinbergs Häuser zu bauen entgegenzutreten, rollt man dem „Investor“ den roten Teppich aus. Die Stadt (Ausbau der Straße), Stadtwerke (Gas) und Abwasserverband (Kanal) geht in Vorleistung. Dafür opfert man den Lebensraum auf der Roten Liste stehender Tiere und Pflanzen. Auch für die Menschen bedeutet es eine Verschlechterung der Luft und Lärmbelästigung, wenn die Bäume als Barriere in nur 350m Entfernung zur Autobahn fallen.

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    • 7. August 2020 um 19:31 Uhr
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      Vielen Dank H.J. Knapp für diese klare Stellungnahme. Ich hoffe, dass noch mehr Bürger sich so deutlich positionieren. Der Lebensraum von Tier und Mensch wird immer mehr eingeengt und so kommt es darauf an rechtzeitig zu intervenieren.
      Ja, Herborn hat zu wenig Wohnraum, aber der kann auch auf rücksichtsvollere Weise geschaffen werden. Wenn die Investoren, die heute ohne auch nur einen Gedanken an Klima, Umwelt und Lebensqualität zu verlieren, selber einmal „in den Seilen hängen“, werden sie vielleicht wach. Geld kann man nicht fressen und die Gesundheit nur ein Stück weit kaufen.

      Antwort
  • 8. August 2020 um 12:42 Uhr
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    Das ist ja nicht neu in der Stadt. Wenn ich beobachte, welche ehemals grünen Flächen, teilweise mit alten Baumbeständen (wenn auch privat), inzwischen zugepflastert sind, wird mir schlecht. Das können die kleinen Ecken mit Blumenwiesenmischung sicher nicht ausgleichen. Wie man das in Zukunft verhindern könnte, weiß ich nicht, aber viele Städte und Kommunen in NRW gehen ja mit gutem Beispiel voran. Innovativ, modern und zukunftsorientiert, stellt sich Herborn so auf jeden Fall nicht dar. Das ist peinlich.

    Antwort
  • 10. August 2020 um 0:07 Uhr
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    Die beiden Grundstücke am Weinberg zeichnen sich aus durch üppige, gesunde Vegetation. Das alles müsste bei einer Bebauung entfernt werden, mit allen negativen Folgen für Klima und Artenvielfalt.
    Die Grundstücke sind ein Steilhang, der bei einer Bebauung auf der gesamten Länge durch eine meterhohe Mauer abgestützt werden müsste, um ein Abrutschen des Nachbargrundstücks zu vermeiden.
    Der Boden der Grundstücke besteht aus Faulschiefer. Kein solides Fundament für einen stabilen Neubau.
    Das alles müsste ausgebaggert, abtransportiert und ersetzt werden über den einzigen Zufahrtsweg, ein katastrophal enges und steiles Sräßchen, das derzeit aus Sicherheitsgründen nicht mal von der Müllabfuhr befahren wird. Gleiches gilt auch für den Transport von Baumaterialien zur Baustelle hin.
    Ja, bezahlbarer Wohnraum für Herborn, das wäre schön, der wird aber mit Sicherheit nicht am Weinberg entstehen. Es gibt wohl kaum ein Grundstück in Herborn, dass ungeeigneter wäre für eine Bebauung und noch weniger eins, dessen Bebauung kostenintensiver wäre.

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    • 10. August 2020 um 7:15 Uhr
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      Guten Morgen Heike, herzlichen Dank für ihren sehr konkreten Beitrag zum Thema „Geht es der grünen Lunge…“ Dass, was sie darin sehr deutlich beschreiben, müsste eigentlich für eine Entscheidung gegen die Ausweisung als Baugebiet reichen. Ich hoffe, dass die Herborner Stadtverordneten das ähnlich sehen.

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  • 10. August 2020 um 12:50 Uhr
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    Am Schönblick gab es doch auch nur Probleme mit den Neubauten!!!!
    Ich erinnere mich sogar gehört zu haben, dass ein Haus im Rohzustand plötzlich absackte und schlussendlich kostenintensiv mit einem Hebekran angehoben und „unterfüttet“ werden musste. Das ist zum einen wohl dem Faulschiefer geschuldet und zum anderen wohl der mangelnden Zeit – wenn nach Aushub keine Zeit mehr bleibt damit sich der Grund festigen kannn … herrjeh – und jetzt geht das gerade so weiter.

    Antwort
    • 10. August 2020 um 19:16 Uhr
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      Hallo Heike, das spielt doch alles keine Geige. Der Euro muss rollen und da kann man auf solche Kleinigkeiten keine Rücksicht nehmen.

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  • 3. September 2020 um 13:26 Uhr
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    Gott sei Dank ist die Sache nun vom Tisch!
    Dass es überhaupt so weit kommen musste ist ja eigentlich schon unglaublich.
    Nun gut fürs erste – ich hoffe zukünftig wird diese weise Entscheidung kein Einzelfall bleiben!!!

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